Der Ruf nach Freiheit

In der Auseinandersetzung um die Frage, ob die Demokratisierung der Arbeitswelt wirtschaftlich und gesellschaftlich sinnvoll ist, kommt es zwangsläufig zu einer weiteren Frage: Wollen MitarbeiterInnen überhaupt selbstbestimmt arbeiten? Auf diversen Veranstaltungen, bei denen ich als Redner oder Workshopleiter dabei bin, höre ich immer wieder: Die MitarbeiterInnen wollen doch gar nicht. Das ist zweifelsfrei in manchen Fällen richtig, muss dann aber noch differenziert werden. Mussten die MitarbeiterInnen zuvor jahre- oder gar jahrzehntelang fremdbestimmt arbeiten? Oder sind es MitarbeiterInnen, die frisch in den Beruf kommen und von sich aus einen 9 to 5 Job wollen? Und dann stellt sich noch die Frage: Sind diejenigen, die gesagt bekommen wollen, was sie wie bis wann zu tun haben, die Mehrheit? Nun liegt eine aktuelle Studie vor. Sie wurde von Hays, der ZukunftsAllianz Arbeit & Gesellschaft e. V. (ZAAG) und der Gesellschaft für Wissensmanagement e. V. (GfWM) mit empirisch-wissenschaftlicher Unterstützung des Lehrstuhls für Strategie und Organisation, Prof. Dr. Isabell M. Welpe, TU München durchgeführt. Die Ergebnisse sprechen klar für eine Demokratisierung der Arbeitswelt.

Studienüberblick Unternehmensdemokratie

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Die Motivation zur Studie wurzelt in einem “gefährlichen Rückgang der Innovationskraft” Deutschlands. Zu Beginn des Studienberichts wird der KfW-Innovationsbericht Mittelstand 2015 kurz zusammengefasst. Demzufolge zeigt sich ein starker Rückgang der Innovationsaktivität, die Innovatorenquoten kleinerer, mittlerer und “traditionell innotvationsintensiver Wirtschaftszweige wie dem Fahrzeugbau oder Elektroindustrie” (S. 3) sind gesunken. “Im EU-Ranking zur Innovationskraft 2014 und 2015 rutschte Deutschland je einen Platz ab und belegte zuletzt Rang 4 … Im aktuellen IMD World Competitiveness-Ranking fiel Deutschland gegenüber einem starken Abschluss in 2014 um sechs Plätze auf Rang 12 zurück.” (ebnd.) Der Treiber der Studie ist also ein mehrfach festgestellter Rückgang der Innovationskraft, die zweifelsfrei eine große Bedeutung für eine erfolgreiche Wirtschaft hat.
Die Stichprobe umfasste 1180 Befragte, die sich folgendermaßen zusammensetzten: 

  • Geschlecht: 50% weiblich, 50% männlich
  • Alter: 21% 18-30, 24% 31-40, 26% 41-50, 30% 51 und älter
  • Berufsabschluss: 54% abgeschlossene Berufsausbildung, 46% Studium
  • Unternehmensgröße: 15% 1-10 MA, 37% 11-499 MA, 32% 500-5000 MA, 16% mehr als 5000 MA
  • Berufsgruppen: 75% Angestellte, Arbeiter, Selbstständige, Beamte, Freiberufler und sonstige verteilten sich in etwa gleich.
  • Unternehmensbranche: 52% Dienstleistungen, 21% verarbeitendes Gewerbe, 11% Handel, 10% öffentliche Verwaltung und 7% sonstige

Damit waren die Befragten bis auf die Funktion im Unternehmen (deutliche Überzahl von Angestellten gegenüber anderen Berufsgruppen) sowie die Branchen ziemlich gleichmäßig verteilt. Somit sind die Ergebnisse für die die meisten arbeitgebenden Organisationen gültig, mit der Einschränkung, dass es einen Überhang an Dienstleistern gibt.

Studienergebnisse im Überblick

Die Ergebnisse verweisen auf das genaue Gegenteil dessen, was immer wieder behauptet wird: Die MitarbeiterInnen hätten gar kein Interesse an mit- oder gar selbstbestimmter Arbeit. Ein großer Teil der Befragten bekennt sich klar zu einem deutlichen Wunsch nach größerer Freiheit in der Arbeit durch mehr Mit- und Selbstbestimmung:

  • 68% wollen mehr Freiheit und Souveränität bei der Arbeit
  • 76% würden engagierter arbeiten, wenn Sie über neue Produkte mitentscheiden dürften
  • 80% sind der Auffassung, dass durch mehr Partizipation an unternehmerischen Entscheidungen die Produktivität des Unternehmens gesteigert werden würde

Und dann kommt noch ein weiterer, äußerst interessanter Aspekt hinzu. Die Mitbestimmung bei der Bestellung von Führungskräften:

  • 85% würden gerne schlechte Führungskräfte abwählen können
  • 70% würden Führungskräfte grundsätzlich nur über eine vorab definierte Zeitspanne wählen
  • 69% glauben, dass Führungskräftewahlen das Wohl des Unternehmens nachhaltig positiv beeinflussen würde

Studienergebnisse zusammengefasst

Im Großen und Ganzen zeigt sich, dass die StudienteilnehmerInnen ihre eigenen Beiträge zu Innovationen unmittelbar mit ihrer Autonomie und Einflussnahme verbinden. Dazu kommt der Wunsch nach einer stärkeren Experimentierkultur (aus Fehlern lernen, statt sie zu vermeiden), sich an unternehmerischen Entscheidungen demokratisch beteiligen zu dürfen, vertrauens- statt kontrollbasierte Führung und mehr flexible statt bürokratisch standardisierte Strukturen. Überraschenderweise zeigte sich bei den jüngeren Befragten ein stärkerer Wunsch nach Teilhabe an unternehmerischen Entscheidungen bei gleichzeitig geringerem Wunsch nach Experimentierkultur. Die Unternehmensgröße hatte indes keinen signifikanten Einfluss auf den “Ruf nach Freiheit”.
Es scheint also, über meine subjektiven Eindrücke hinaus, eine Entwicklung in Richtung “Neue Arbeit” zu geben. Der Wunsch nach mehr Partizipation, Mit- und Selbstbestimmung ist dabei keineswegs den angeblich so selbstbestimmungsfreudigen jüngeren Generationen zuzuschreiben, sondern zeigt sich Generationen übergreifend. Die Demokratisierung der Arbeit hat allem Anschein nach ein reales Korrelat in der arbeitenden Bevölkerung. Diese Ergebnisse untermauern zwei andere Studien, die ich hier im Blog ebenfalls vorgestellt hatte: Die “Expressumfrage zum Thema Mitarbeiter und Mitentscheider” sowie die DGB Studie “Arbeitsqualität aus der Sicht von jungen Beschäftigten“. Da lohnt sich ein Blick auch in dieser Studien.
Summa Summarum: So langsam müssen sich diejenigen, die die Demokratisierung der Arbeitswelt in Bausch und Bogen ablehnen, etwas anderes einfallen lassen, als einfach nur laut “Geht nicht” zu brüllen. Scientific Management á la Taylor müsste ja eigentlich auch heißen: Wissenschaftliche Ergebnisse ernsthaft in die Entscheidung, wie Organisationen sinnvollerweise gestaltet werden können, miteinzubeziehen. Vernunft eben, anstatt Glaubenskrieg.

Herzliche Grüße
Andreas Zeuch

Bildnachweis

Comments (1)

[…] sondern zeigt sich generationenübergreifend, so Zeuch und verweist auf die Studie „Der Ruf nach Freiheit: Innovationsförderliche Arbeitswelten aus Sicht der Arbeitenden“ von Hays, der ZukunftsAllianz Arbeit & Gesellschaft e.  V. (ZAAG) und der Gesellschaft […]

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