Mitarbeitermotivation in der Versorgerehe

Zusammengesetzte Substantive oder auch Komposita verwendet man in der deutschen Sprache zum Zwecke der Wortbildung. Mindestens zwei bereits vorhandene Hauptwörter werden kombiniert und lassen den Wortschatz wachsen. Da Wachstum in unserer Kultur ein erwünschtes Ziel ist, sind auch zusammengesetzte Substantive willkommen. Wie z.B. das Wort „Mitarbeitermotivation“. Außerdem  dienen Komposita der Informationsverdichtung. Dies führt beim Beispiel „Mitarbeitermotivation“ dazu, dass auch widersprüchliche Informationen vereint werden. Aus diesem Grund tun sich Unternehmen gerade mit diesem Wort extrem schwer, wie ein befreundeter HR-Kollege kürzlich wehklagte. Sein Team sei durch nichts zu motivieren – keine Innovationsforderung der Führung, die in Form von kreativen Bespaßungsmaßnahmen durchgesetzt würde, hätte auch nur ansatzweise den erwünschten ROI. Selbst die Androhung von 360° –Feedbacks würde nur Schulterzucken auslösen.

Privates Modell reproduziert sich in Konzernen

Was ist da passiert? Ein Phänomen, welches sich häufig in Konzernen zeigt: Man nennt es fehlende emotionale Bindung oder auch: Versorgerehe. Sie kennen das aus Ihrem privaten Umfeld: Er, Typ Alphatierchen, lauter Hans-Dampf-in-allen-Gassen. Weber-Grill-Inhaber. Sie, Typ: mädchenhafte Granate mit klassischem Stil, nicht zu auffällig und vorzüglich als vorzeigbares Accessoire tauglich. Das Modell existiert selbstredend auch vice versa: Er, Typ: introvertierter Sachbearbeiter; Sie, zupackende, trinkfeste Partylady mit ausgeprägtem Mutterinstinkt. Die Konstellationen ließen sich beliebig und auch weniger klischeehaft erweitern.
Eine solche Verbindung entsteht durch divergierende Erwartungshaltungen der beiden Parteien, die sich im kleinsten gemeinsamen Nenner treffen: einem gemeinsam geschlossenen Vertrag. Die eine Partei gibt sich als Kümmerer und Versorger, die andere Seite erwartet genau diese Versorgung, um sich außervertraglich amüsieren zu können. Mag am Anfang beiderseits noch ein Anflug von Zuneigung vorhanden sein, schwindet diese mit zunehmendem Alterungsprozess und abnehmender Wertschätzung. Gerüchten zufolge soll diese auf der Versorgtenseite besonders Frauen treffen, die über das mittlere Management hinaus nach beruflicher Karriere streben und die dabei an mehrheitlich männlich besetzte höhere Hierarchieebenen stoßen. Aber solches hört man nur im feministischen Kontext – also vernachlässigbar.
Oft ist es so, dass die Versorgerseite romantische Vorstellungen von der Beziehung hat und glaubt, dass die andere Seite sie mag, weil sie so tolle Sachen macht. Doch dem ist nicht so: die andere Seite erfüllt lediglich ihren Vertrag, kümmert sich um ihren zugewiesenen Arbeitsbereich und repräsentiert da, wo die andere Seite sich mit ihr schmücken möchte.
Das Aussehen des Versorgers ist zweitrangig. Die versorgte Seite meckert nicht, wenn der Versorger im Laufe der Beziehung an Umfang zulegt, in der Regel ignoriert sie den Zuwachs. Der Austausch von Körperflüssigkeiten im Innenverhältnis – Mitarbeitergespräch (wieder so ein Kompositum) genannt – erfolgt an jährlich festgelegten Terminen. Nach dem Sex dreht sich der Versorger zufrieden zur Seite und entschläft selig in der Annahme, dass alles gut sei. Kinder entstehen in dieser Ehe nicht, da die Versorgerseite weder Zyklus noch Eisprung der Versorgten kennt. Das ist aber nicht schädlich, denn der Versorger ist der Selbstreproduktion fähig. Dazu fördert er interne Startups und nennt sie Intrapreneure.

Langlebig in starrem Umfeld

Eine solche Ehe kann eine langlebige Sache sein – klar abgegrenzte Rollen auf beiden Seiten. Die versorgte Seite achtet sehr darauf, ihre Form zu wahren und hält die Illusion der liebenden Beziehung aufrecht. Gleichzeitig sitzt sie selbst der Illusion auf, dass der Versorger ihr Sicherheit bietet. Sie bleibt bei ihm, auch wenn im Laufe der Beziehung die Erwartungen aufgrund von Realitätserfahrungen sinken. Voraussetzung für das Gelingen ist, dass jede Seite jegliche Veränderung oder Entwicklung ablehnt.
Schwierig wird die illusionäre Beziehung, wenn die Veränderung doch kommt. Da lernt z.B. die gelangweilte versorgte Partei ein hippes Startup kennen, welches ihr verborgenes Potential wachküsst und mit dem sie die Nächte durchzechen kann. Im Regelfall merkt der Versorger bis zur Einreichung der Kündigung nichts von diesen Veränderungen, es sei denn, der Controller petzt. Dann sagt der Versorger Sätze wie: „Ach, ich hatte ja keine Ahnung, dass es Ihnen bei uns nicht mehr gefällt.“
Dem geplagten Kollegen schlug ich vor, beide Seiten – also sowohl sein Team als auch den Versorger – mit ein paar hippen externen Startups bekannt zu machen. Eine Ménage à trois soll ja manchmal müde Beziehungen beleben. Und falls nicht, bleibts halt beim vorgetäuschten Orgasmus und beim zusammengesetzten Substantiv.

Schulterzuckende Grüße
Daniela

Bildnachweis

  • Beitragsbild: Daniela Röcker

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