Unternehmensdemokratie. Chancen und Risiken

Vor nicht allzulanger Zeit erhielt ich von dem mir bis dahin unbekannten Peter Jakubitz eine Anfrage. Er wollte das Cover meines aktuellen Buches “Alle Macht für niemand” für eine Buchbesprechung, an der er gerade arbeitete. Natürlich kamen wir auf diesem Wege schnell ins Gespräch und es stellte sich heraus, dass Peter Jakubitz über ein gerütteltes Maß an Erfahrung mit Partizipation und demokratischen Organisationsstrukturen verfügt. Da war der Schritt zum folgenden Gespräch nicht weit.

Andreas: Herr Jakubitz, beginnen wir kurz mit ihrer beruflichen Entwicklung: Wie sind Sie zum Thema Selbstorganisation und Unternehmensdemokratie gekommen?

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Peter Jakubitz, © Carola Hagedorn

Peter Jakubitz: Mitbestimmung war mir immer schon wichtig. Ich habe mich zum Beispiel als Junge schon mit 8 Jahren bei den Eltern beschwert, wenn ich mich bei Entscheidungen nicht ausreichend einbezogen fühlte. Nach dem BWL-Studium bin ich im Zuge meiner Diplomarbeit mit dem Thema Selbstverwaltung in Berührung gekommen. Das hat mich gleich fasziniert und ich bin dann in eine (demokratisch organisierte) Beratungsinitiative eingestiegen, die das Ziel hatte, MitarbeiterInnen von insolventen Betrieben zu helfen das Unternehmen in Eigenregie zu übernehmen. Das war eine recht anspruchsvolle Aufgabe, die uns auch entsprechend (über)forderte. In einigen Fällen war das aber auch durchaus erfolgreich. Später sind wir dazu übergegangen auch Betriebsneugründungen in Kollektivform und EinzelgründerInnen zu beraten.
Andreas: In dieser Beratungsinitiative haben Sie 16 Jahre gearbeitet und erlebt, welche Kräfte das in der Organisation freigesetzt hat. Worin bestanden diese Kräfte, was waren die Vorteile, die durch die Selbstverwaltung ermöglicht wurden?
Peter Jakubitz: Zuerst einmal sehr hohe Motivation, die sich in einem hohen Verbundenheitsgefühl untereinander und breitem Engagement der Beschäftigten für die Themen der Organisation zeigte. Das Unternehmen wuchs darum auch sehr dynamisch innerhalb von 15 Jahren auf rund 150 Beschäftigte. Typisch war auch, dass rund 5% des Umsatzes für Entwicklung und Weiterbildung aufgewandt wurde. Das hat den Erfolg der Organisation geradezu beflügelt. Die Planung und Entscheidung über die  eigene  Weiterbildung lag dabei voll bei der einzelnen Person. Wer wollte, konnte die Personalentwicklung beiziehen, wenn er/sie sich betreffend der Ausrichtung nicht sicher war.  
Andreas: Zuletzt hatten Sie jedoch erlebt, wie rasch eine sehr motivierte und motivierende Forschungseinrichtung mit mehr als 500 Mitarbeitern ins Gegenteil gekippt ist. Inwiefern war diese Entwicklung einer Art von Selbstorganisation oder demokratischen Unternehmensführung geschuldet?
Peter Jakubitz: Die Organisation ging nach einer sehr dynamischen Gründungsphase sehr rasch, fast möchte man sagen, überraschend, in die Strukturierungsphase über (siehe Phasenmodell nach Glasl/Lievegoed 2004). Die Qualität der Pionierorganisation mit raschen und kurzen Entscheidungswegen, hoher Interaktionsdichte, starker Selbsorganisation der eigenen Arbeit und einem starken “Wir”-Gefühl  verschwand dabei erstaunlich rasch. Wo vorher noch der Wille – nicht immer aber auch die tatsächliche Möglichkeit – zur Zusammenarbeit vorhanden war, entstand bei vielen MitarbeiterInnen durch die Hierarchisierung und Zentralisierung von Entscheidungen rasch ein Gefühl der Resignation. Die Folgen waren sinkende Zusammenarbeit über Abteilungsgrenzen hinweg, Warten auf Entscheidungen von Oben und Zurückhaltung bei Vorschlägen. Damit bestätigte sich die Haltung des neuen Managements, dass die MitarbeiterInnen eben der Führung und Lenkung bedürfen – eine klassische selbsterfüllende Prophezeiung. Auch das Informationsmanagement veränderte sich dramatisch. Wo vorher die meisten Unternehmensinformationen frei zugänglich für alle waren und unter den MitarbeiterInnen auch aktiv geteilt wurden, so erzeugten die neuen, eng definierten Zugriffsrechte einen Art Tunnelblick. Information wurde verstärkt zum knappen Gut. Wenn man über sie verfügte, zeigte das, wie nah man dem Zentrum der Macht, also dem Top Management war. Natürlich war auch vorher in einer Pionierorganisation manche Information informell geteilt worden, aber jetzt wurde Information und Macht viel deutlicher miteinander verknüpft. Das veränderte das Lebensgefühl in der Organisation ganz wesentlich.
Andreas: Ok, verstehe. Jetzt würde ich sagen: Das ist doch einerseits ein tolles Beispiel für die Vorteile demokratischer Arbeitsorganisation. Denn als die Hierarchie formalisiert wurde, als Zentralisierung stattfand, schwand die Motivation. Andererseits frage ich mich: Wieso kam es dazu? Ein Unternehmen muss sich ja keineswegs so entwickeln. Auch Organisationen mit mehreren Tausend MitarbeiterInnen können stark partizipativ aufgestellt sein.

© Carola Hagedorn
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Peter Jakubitz: Ich denke, das hat mit den (Vor)Bildern in unseren Köpfen zu tun. Organisationswachstum wurde über fast ein Jahrhundert mit den Mitteln der Hierarchie beherrschbar gemacht und das hat sich auch in der Vorstellungswelt vieler Menschen tief verankert. Die dabei auftretenden “Nebenwirkungen” von Entfremdung und Motivationsverlust werden quasi als unvermeidlich auf dem Weg zu einer reiferen integrativen Organisationsform gesehen.
Und nach der Pionierphase wurde im Fall des Forschungsinstitutes unbewußt oder bewußt nach dem “passenden” Management gesucht. Umgekehrt wurde aber auch die, aus der Aussensicht nunmehr deutlich größere Organisation, für einen bestimmten Typ von ManagerIn interessanter. Zu diesem Typus gehören auch Eigenschaften wie Aufstiegs- und Machtorientierung, ebenso wie Interesse an Hierachie- und Effizienzdenken. Insgesamt jedenfalls sind das eher Personen, die die Differenzierung der Organisation vorantreiben möchten und Problemdefinitionen in Bezug auf eine innenorientierte Sicht vornehmen. Die Sicht und Bedarfe von Stakeholdern, KundInnen und Umwelten, die in Summe das Außen repräsentieren, kommt in dieser Entwicklungsphase somit regelmäßig zu kurz.
Ich denke es hängt aber von der organisationalen Intelligenz der vorhandenen AkteurInnen ab, ob sie sich in dieser Phase, von dem vorhandene “Zug nach Innen” mitreissen lassen oder bewusst gegensteuern und auch andere Perspektiven einnehmen. Je nachdem ob dies gelingt oder nicht, folgen dann andere organisationale Entscheidungen.
Andreas: Was genau meinen es Sie mit diesem “Zug nach Innen”? Demokratische Organisationen müssen sich ja auch mit sich selbst beschäftigen. Ich würde mal die These aufstellen: Mindestens genauso wie traditionell hierarchische Unternehmen. Beispielsweise müssen ja die deutlich aufwändigeren Entscheidungsprozesse immer wieder auf ihre Funktionalität geprüft werden. Oder es finden jährliche Wahlen statt.
Peter Jakubitz: Nach raschem Wachstum und im Übergang aus der Pionier- in die Strukturierungsphase scheint es für Organisationen fast unvermeidbar sich der Hierarchisierung der  Organisationsstruktur, den internen Abläufen innerhalb der einzelnen Einheiten und  der Zusammenarbeit zwischen den Einheiten zuzuwenden. Dabei gerät dann aber der Kontakt zu Stakeholdern, KundInnen und Umwelten, der in der Pionierphase noch fast mühelos gelungen ist, ins Off. Clevere Organisationen können, meiner Ansicht nach, in dieser Phase zwei wirksame Dinge tun um den nötigen Außenkontakt aufrecht zu halten und sogar noch auszubauen. Erstens durch Prozessmanagement für durchgängige, rasche und optimierte Prozesse quer durch die Organisation sorgen. Zweitens kann durch flexible, flache Organisationsstrukturen, die ein hohes Maß an Selbstführung ermöglichen, das Potential und die Wahrscheinlichkeit erhöht werden, dass MitarbeiterInnen sich weiterhin für KundInnen und relevante Umwelten engagieren bzw mit diesen den Kontakt halten.
Andreas: Was würden Sie vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen einem Unternehmen raten, dass bisher klassisch hierarchisch geführt wurde, entsprechend strukturiert ist und sich jetzt demokratisieren will?
Peter Jakubitz: Diese Frage stellen sich wahrscheinlich immer mehr ManagerInnen. Es gibt aber (noch) keine Patentrezepte. Ich verrate ihnen aber gerne meinen ganz persönlichen 6 Punkte-Plan:

  1. Lauschen Sie Ihren KundInnen. Ihre Interessen geben Hinweise, wie die wesentlichen Strukturen und Prozesse ihrer Organisation definiert werden.
  2. Erhöhen Sie die Transparenz über ihre Planungen, Entscheidungen und Aktivitäten. Damit schaffen sie  Erwartungssicherheit und verstärken das Vertrauen bei den MitarbeiterInnen.
  3. Delegieren Sie weitreichend Kompetenzen an MitarbeiterInnen und KollegInnen. Damit vergrößern sie deren Selbstwirksamkeit und entlasten sich selbst von operativen und taktischen Vorgängen.  
  4. Entwickeln Sie klare und transparente Regelsysteme. Damit verstärken sie positives Verhalten und entlasten die Organisationsmitglieder.
  5. Erarbeiten Sie bewegende Visionen, die auch den gesellschaftlichen Nutzen einbeziehen. Damit verbessern sie die Orientierung und schaffen Sinn.
  6. Last but not least: Beziehen sie ihre MitarbeiterInnen weitreichend in ihre Führungsarbeit mit ein! Das wirkt sich unmittelbar auf die Motivation und das prosoziale Verhalten der MitarbeiterInnen aus.

Natürlich wird natürlich alles nicht von heute auf morgen gelingen, aber einmal in Gang gesetzt dreht sich die Spirale im Sinne der positiven Psychologie bald aus eigener Kraft aufwärts. Götz W. Werner, Chef der Drogeriekette DM, fasst das sehr treffend zusammen: “Dialogische Führung oder wie ich lernte und aufhörte, den MitarbeiterInnen Anweisungen zu geben.”
Andreas: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Jakubitz!

Herzliche Grüße
Andreas Zeuch

Bildnachweis

  • Beitragsbild: © Peter Jakubitz
  • Portrait 1 & 2: © Carola Hagedorn

 

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