Unternehmensdemokratie wird in den USA diskutiert

Vor einiger Zeit bekam ich über Facebook einen Hinweis auf eine kurze Diskussion eines unternehmensdemokratischen Konzepts in den USA. Mittlerweile ist eines der bekanntesten, wenngleich keineswegs langjährigsten demokratisch aufgestellten Unternehmen auch in den amerikanischen Medien angekommen: Die Haufe umantis AG. Kein Wunder, so emsig wie das Unternehmen die eigenen Führungskräftewahlen auf der Klaviatur der medialen Selbstvermarktung spielt. Natürlich ist es ein echter Hingucker, wenn in einem Unternehmen nicht nur das mittlere Management gewählt wird, sondern sogar der CEO. Das wirkt überraschend und ist wohl gerade in den USA für einige Leute dort besonders verstörend. Was meine These stützt, dass wir von dort eben gerade keine sozialen Innovationen erwarten dürfen. Dass das TV Moderatorenteam konservativ denkt, überrascht nicht, aber dass ein Fellow der Stanford University nicht einmal über den Tellerrand des traditionellen Führungsverständnisses hinausdenkt, ist ernüchternd. Oder aber ermutigend, könnte es doch heißen, dass andere Länder progressiver sind…

Unternehmensdemokratie kommt in den USA an

Die kurze Diskussion erschien am 23. Mai 2016 auf CNBC (Consumer News and Business Channel). Unter der Leitung zweier Moderatoren diskutierten Kelly Max, CEO Haufe USA und der Standford University Fellow Vivek Wadhwa die Führungskräftewahlen bei Haufe. Kelly Max erläutert zum Einstieg kurz, wie es zu der heutigen Situation kam, indem der  Gründer und ehemalige CEO der ehemaligen umantis AG sich selbst aus seiner Topführungsposition zurückgezogen hat um die Wahl des zukünftigen CEO in Gang zu setzen (das war Herrmann Arnold, mit dem ich für mein Buch “Alle Macht für niemand” unter anderem ausführlich über die Unternehmensdemokratie bei Haufe umantis gesprochen hatte).

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von player.cnbc.com zu laden.

Inhalt laden

Entscheiden ist eine Angelegenheit des (Top)Managements

Nach kurzer Zeit platzt der Moderator Kelly Max ins Wort und lässt das erste Vor-Urteil traditioneller Unternehmensführung los: “Being a leader often means making very difficult decisions. It might even cost some people their jobs.” Er führt das dann noch abstrakter aus: Wie kann eine gewählte Führungskraft, insbesondere vermutlich ein CEO, unpopuläre Entscheidungen treffen, wenn er für sein Amt die Bestätigung und den Rückhalt der Belegschaft braucht? Die Frage ist logisch, aber eben nur im Modell der üblichen top-down Führung.
Und dann wird es spannend. Denn Kelly Max ist seinerseits in der Logik der Haufe (umantis) Führungskultur gefangen*. Er bringt das Argument Herrmann Arnolds, dass die MitarbeiterInnen ohnehin täglich über die Führungskräfte abstimmen würden, indem sie entweder mit der Führung einverstanden seien oder sie innerlich aufkündigen. Das ist richtig, wie ja auch die jährlichen Studien des Gallup Engagement Index mit den drei Dimensionen emotionaler Bindung an den Arbeitgeber zeigen (positive emotionale Bindung, Dienst nach Vorschrift, innere Kündigung). Es gibt aber noch ein ganz anderes Argument, wenn man weiß, wie andere Unternehmen ihre demokratischen Entscheidungsprozesse durchführen: Wer sagt denn, dass die “sehr schwierigen” Entscheidungen vom CEO oder Führungskräften alleine entschieden werden müssen? Klartext: Das ist keine Theorie (wie einige Kritiker der Unternehmensdemokratie mantrahaft behaupten), sondern teils jahrzehntelang gelebte Praxis, wie ich in den Fallbeispielen meines Buches zeige und damit den Theorievorwurf widerlege.
So gibt es zum Beispiel ein Unternehmen, übrigens ungefähr gut dreimal so groß wie die Haufe umantis AG, das seit über 40 Jahren alle unternehmensrelevanten Entscheidungen wie Fusionen, Standortschließungen etc. in einem paritätisch besetzten Wirtschaftsausschuss entscheidet (ohne dass es in der Zeit auch nur zu einer einzigen Pattsituation gekommen wäre, aber das nur als Fußnote). Für alle die es nicht wissen: Gemäß Betriebsverfassungsgesetz hat der Wirtschaftsausschuss nur ein Informationsrecht und eine beratende Funktion, ist aber keineswegs das gesetzlich vorgeschriebene oberste Entscheidungsgremium eines Unternehmens (“Der Wirtschaftsausschuss hat die Aufgabe, wirtschaftliche Angelegenheiten mit dem Unternehmer zu beraten und den Betriebsrat zu unterrichten.”, BetrVG §106, Abs. 1)
Unabhängig davon gibt es aber noch weitere Argumente: Selbst ein radikales Downsizing kann in einer jahrzehntelang gelebten Unternehmensdemokratie umgesetzt werden. Im Zuge der Vertiefung des Fallbeispiels der ehemaligen Wagner Solar GmbH & Co. KG (Vgl. Alle Macht für niemand, S. 187-196) habe ich nach Abschluss meines Buches nochmals mit einem der ehemaligen Geschäftsführer und Mitarbeiter gesprochen. Als das Unternehmen von 400 auf 80 Mitarbeiter verkleinert werden musste, was einer brutalen Quote von 80% Entlassungen entspricht, wurde seinerzeit die Belegschaft in den Entscheidungs- und Gestaltungsprozess eingeladen. Die MitarbeiterInnen wollten das nicht, akzeptierten aber die Entscheidung der Geschäftsführung. Und das in einem Unternehmen, das 1973 mit einer Basisdemokratie startete (der einzigen, die ich bislang gefunden habe…) und sich immerhin bis zum europäischen Marktführer im Bereich Solarwärme entwickelte.

Wadhwa,_Vivek
Stanford Fellow Vivek Wadhwa

Unternehmen sind Diktaturen

Dann wird es vollkommen abstrus. Vivek Wadhwa behauptet als unumstößliches Naturgesetz: “This isn’t the workplace works, it’s a dictatorship.” Man höre und staune. Unternehmen sind Diktaturen. Punkt! So unverfroren muss man erst mal sein. Hut ab. Folgerichtig behauptet Wadhwa dann auch, dass Unternehmen einen visionären Führer brauchen. Und zitiert natürlich –  wie könnte es in den USA anders sein – Steve Jobs. Ausgerechnet. Tja, dann schauen wir mal auf Apple. Ja, das Unternehmen wurde zu einer der erfolgreichsten Firmen der letzten 10 Jahre. Und jetzt? Wo sind all die genialen Ideen, die Jobs angeblich noch in der Hinterhand hatte, wie die Revolution des Fernsehers? Apple wird mehr und mehr zu einer Verwalterin ehemaliger Erfolge, Innovationen sind aus Cuppertino nicht mehr zu erwarten (nebenbei: ich bin Apple User). Ist das ein Beweis für die Notwendigkeit eines genialen Führers? Kann man so interpretieren. Dumm nur, dass jedes Genie auch mal stirbt. Und dann?
Abgesehen davon: Was ist mit anderen Firmen wie W.L.Gore, die auch demokratische Strukturen aufweisen und große Erfolge feiern konnten und können (wer kennt nicht Gore-TEX?), ohne das Herr Gore als zweiter Mann hinter Gott agierte? Aber sei’s drum. Wer sein Glaubensbekenntnis irrational jenseits jeglichen vernünftigen Diskurses durchsetzen will, muss nur all die anderen gerade auch amerikanischen Fallbeispiele wie AES, Valve (und deren weltweit Aufsehen erregendes Handbuch für neue Mitarbeiter), Whole Foods Market etc. ignorieren, um lächelnd zu konstatieren, dass Unternehmen so nicht funktionieren würden. Man kann leugnen, dass es Unternehmen wie Semco gibt, die trotz einer damaligen Inflationsrate von 1000% von 90 Mitarbeitern auf heute 3000 mit einer jährlichen Umsatzsteigerung von rund 21% erfolgreich wirtschaften. Und zwar als demokratisch geführtes Unternehmen; man kann auch die deutschen Beispiele leugnen, die ich in meinem Buch aufführe, die ebenfalls beeindruckende Erfolge aufzuweisen haben. Man kann das alles leugnen, ganz einfach. Das ist ein überaus erfolgreiches Mittelchen, um sich sein Weltbild aufrecht zu erhalten und es nicht kritisch zu reflektieren. In der Psychiatrie nennt man das negative Halluzination.
Weiter im Text: Es braucht laut Vivek Wadhwa einen visionären Führer, der seine Vision sehr gut kommunizieren kann. Und dann haben alle Mitarbeiter ihm oder ihr zu folgen. Leider ist das die Ausnahme und nicht die Regel. Ich hatte ebenfalls in meinem Buch auf eine repräsentative Studie für Deutschland des Jobportals Stepstone aus dem Jahr 2012 verwiesen: Von rund 4800 befragten Fach- und Führungskräften kannten 56% (!) die aktuelle Strategie, die ja der Umsetzung einer Vision dient, gar nicht oder nur unzulänglich. Und wie, frage ich mich ganz naiv, sollen diese Menschen dann die Strategie operationalisieren? Abstrakt formuliert ist das Problem ganz einfach: Gesagt heißt nicht gehört. Gehört heißt nicht verstanden. Verstanden heißt nicht einverstanden. Und wer arbeitet überzeugter an der Umsetzung einer Entscheidung: Der, der daran glaubt, oder der, das für Blödsinn hält? Ja, der Aufwand ist am Anfang größer, wenn man die Belegschaft in die Visions- und Strategiebildung einbindet. Dafür wissen die MitarbeiterInnen hinterher worum es geht und die Einwände sind vorab bearbeitet worden. Darauf hat Kelly Max von Haufe auch hingewiesen. Wenn er als CEO gewählt wurde, stehen seine Leute eher hinter ihm, als wenn er ihnen einfach vor die Nase gesetzt wird, so wie üblich.

Anforderungen ändern sich: Generation Y und Z

Dann dreht sich die Diskussion im Kreis: Sowohl Wadhwa als auch die Moderatorin merken zum zweiten Mal an, beziehungsweise fragen, wie es in einer Unternehmensdemokratie möglich ist, unpopuläre Entscheidungen zu treffen: Mitarbeiter entlassen, Abteilungen schließen und so weiter. Kelly Max nutzt diesen wiederholten Einwand, um den Wandel im Verständnis von Arbeit darzustellen: Die von Wadhwa postulierte Diktatur funktioniere heutzutage nicht mehr, weil sich die Ansprüche der nachwachsenden Generationen damit nicht mehr decken. Die Generation Y und Z wollen Mitbestimmung, sie wollen Erfüllung in der Arbeit und wollen Teil von etwas Größerem sein. Unternehmensdemokratie sei eine Möglichkeit das umzusetzen (was vor kurzem durch eine Studie gezeigt wurde) aber er stellt auch klar, dass es keineswegs für jedes Unternehmen funktioniert. Und er sagt auch, dass es nicht jede Organisation umsetzen soll. Aber für sie bei Haufe sei es wichtig, dass sie mutig (genug) sind, ihren Kunden zu zeigen, dass es eine Menge Möglichkeiten gibt, den heutigen Anforderungen an Arbeit gerecht zu werden. Das kann die Demokratisierung eines Unternehmens sein, muss aber nicht.
Bei aller Oberflächlichkeit dieser wenige Minuten langen Diskussion ist doch eines erfreulich: Ein Schweizer-Deutsches Unternehmen hat es geschafft, in einer amerikanischen TV Diskussion das Für und Wider der Unternehmensdemokratie zu platzieren. Ich hoffe, dass dies der Anfang einer differenzierteren Auseinandersetzung ist.

Herzliche Grüße
Andreas Zeuch

* Das ist übrigens augenscheinlich der Tatsache geschuldet, dass die Haufe umantis AG ihr “Betriebssystem” der Führungskräftewahl exportieren wollen, wie Kelly in dem Gespräch auch sagt (sprich: Das wird gerade zu einem neuen Geschäftsmodell im Bereich Unternehmensberatung ausgerollt). DAS wäre eine Kritik wert. Wieso sollte eine Art der demokratischen Unternehmensführung auf andere Unternehmen als Standardprozess vielleicht noch im Sinne einer Best Practice ohne weiteres übertragbar sein? Eines der wichtigsten Ergebnissen meines Buches: Es gibt so viele Formen demokratischer Unternehmensführung wie Organisationen. Ich habe nicht zwei Unternehmen gefunden, die die gleichen Strukturen, Prinzipien oder das gleiche EntscheidungsDesign aufgebaut hätten. Dieses Vorhaben der Haufe umantis AG werde ich in einem späteren Blogpost getrennt reflektieren.

Quelle
CNBC (2016): Democracy in the workplace.

Bildnachweis

  • Beitragsbild: Screenshot
  • Vivek Wadhwa: John P. Harvey, CC BY-SA 4.0

Leave a comment

X