Doku_ Vortrag Gewächshaus Düsseldorf 11_2015

Am 17. November 2015 hatte ich das Vergnügen, im Gewächshaus Düsseldorf einen Vortrag über Unternehmensdemokratie mit anschließendem World-Café zu halten. Die Gründerin und Leiterin des Co-Workingspaces, Silke Roggermann, war offen für das Experiment, nicht nur einen Vortrag über Unternehmensdemokratie zu präsentieren, sondern anschließend noch ein World-Café dazu durchzuführen. Dabei unterstütze uns meine geschätzte Kollegin Christiane Amini, die die Vorbereitung und Moderation des World-Cafés übernahm.

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Flipchart von Christiane Amini, Foto © Dr. Andreas Zeuch

Unternehmensdemokratie im World-Café

Die Veranstaltung begann mit einem ca. halbstündigen Impulsvortrag von mir auf der Basis meines Buches “Alle Macht für niemand. Aufbruch der Unternehmensdemokraten.” Danach übernahm Christiane Amini die Moderation des World-Cafés, dass sie zuvor in enger Absprache mit mir liebevoll vorbereitet hatte: Sie hatte nicht nur die Fragen für die einzelnen Runden des World-Cafés erarbeitet, sondern auch schöne Flipcharts und das gesamte nötige Equipment mitgebracht.
Hier die Leitfragen für das World-Café, die jeweils in zwei Runden von den TeilnehmerInnen diskutiert wurden:

  • Was ist Unternehmensdemokratie und welche Erfahrungen haben Sie damit überhaupt?
  • Stellen Sie sich vor, Sie sind verantwortlich für ein Unternehmen und Sie hätten Einfluss, Unternehmensdemokratie einzuführen…
    • Wie würden Sie vorgehen?
    • Was wäre der erste Schritt?
  • … und nun leben Sie in einem demokratisch geführten Unternehmen
    • Welche Haltung haben Sie jetzt dazu?
    • Was braucht es noch?

Einige Ergebnisse 

Die Gesprächsrunden während des World-Cafés auf der Basis dieser Fragen waren von Anfang an bewegt, dank der souveränen und gelungenen Moderation durch Christiane. Dabei zeigte sich eine höchst interessante, weil wenig transparente Diskussionskultur. Denn Einiges, was sogar auf die Tischdecken geschrieben wurde, zeigte sich nicht in der anschließenden Diskussion. Hier ein paar Kostproben:

  • “Ich bestimme was gemacht wird. Und die Mitarbeiter finden das gut. Auch die Geschäftsführer. Durch mich wird Geld verdient, dadurch sind alle froh.”
  • “Der Begriff und die Idee Unternehmensdemokratie ist unsexy”.
  • “Es gibt immer einen, der führt – führen muss!”
  • “Viele Leute freuen sich über charismatische Führung.”
  • “Unternehmensdemokratie erreicht mich nicht! Vortragstitel und Buchtitel sind völlig daneben.”
  • “Unternehmensdemokratie ist nicht durchsetzbar.”
  • “Mit Demokratie haben Unternehmen nichts zu tun.”

Analyse des Kommunikationsverhaltens

Für mich waren und sind das faszinierende Ergebnisse. Sie reproduzieren meine Erfahrungen, die ich im Buch bereits niedergeschrieben hatte: Selbst die Präsentation von Fallbeispielen gelungener Demokratisierung werden einfach weghalluziniert. Es werden entweder rein subjektive Erfahrungen verallgemeinert (Ich bestimme was gemacht wird…) oder unbelegte Behauptungen in den Raum gestellt (Unternehmensdemokratie sei nicht durchsetzbar), um das Konzept der Unternehmensdemokratie zu widerlegen. Wo bleiben da rationale, (selbst-)kritische und faktenbasierte Argumente? Wie kann jemand ernsthaft – ohne megalomanische Diagnose – annehmen zu wissen, dass alle froh seien, dass durch ihn Geld verdient werden würde? Und wird das Geld nur durch diesen einen Menschen verdient? Tragen die anderen nichts zum Geld verdienen bei? Welche Hybris ist da am Werke? Letztlich muss sich dieser Vertreter des Top-Down noch eine letzte Frage gefallen lassen: Was würde er denn sagen, wenn ihm jemand anderes sagt, was er zu tun und zu lassen habe?
Darüber hinaus ist es unfassbar, dass Menschen im Kontext von Unternehmensdemokratie wieder und wieder vehement die Notwendigkeit von Führung betonen müssen. Dabei habe ich genau dazu den Abschnitt “Ohne Führung geht es nicht” geschrieben (Alle Macht für niemand, S. 26 – 29): “Das heißt … den Staffelstab der Führung bei Bedarf blitzschnell weiterzureichen. Das ist alles. Geführt wird immer noch. Führung ist notwendig.” (S. 27). Nichts anderes vertrete ich bei meinen Vorträgen. Ich habe weder schriftlich noch mündlich eine führungslose Horde wild durcheinander wuselnder Anarchisten vorgeschlagen. Und doch wird immer wieder so getan, als wäre das die Essenz der Unternehmensdemokratie. Spannend, wie ein Konzept den Verstand so mancher Menschen in kürzester Zeit vernebeln kann.

Altbekanntes scheint richtiger und zieldienlicher

Allerdings habe ich mittlerweile eine wissenschaftliche Antwort auf die Frage gefunden, warum Menschen althergebrachte Konzepte für wahrer, richtiger oder zieldienlicher halten, als neue Konzepte: Die Antwort liegt im sogenannten “Illusory Truth Effect” oder auch “Fequency Validity Effect”, zu deutsch: Wahrheitseffekt. “Aussagen, die zuvor bereits gehört oder gelesen wurden, (wird) ein größerer Wahrheitsgehalt zugesprochen wird als solchen, die erstmals gehört werden.” (Wikipedia). Sprich, die altbekannte Art, Unternehmen zentral und top-down zu führen, scheint wahrer und richtiger als das wesentlich unbekanntere Konzept der Unternehmensdemokratie.
Besonders auffällig ist für mich im nachhinein aber noch etwas anderes: Die oben aufgeführten kritischen Bemerkungen haben nicht den Weg in die anschließende Diskussion gefunden. Sie sind mir erst in der Nachbereitung als Notizen auf den Tischdecken aufgefallen. Die AutorInnen dieser Zeilen haben sich bedeckt gehalten. Keine der Äußerungen (“Ich bestimme…”) wurde öffentlich gemacht. Transparenz der tatsächlichen Meinung in der Gruppendiskussion – Fehlanzeige. Und das von jemandem, der doch so erfolgreich bestimmt. Diejenigen, die in der Deckung der Kleingruppendiskussionen harte Kritik geäußert haben, sind nicht direkt mit mir in die Konfrontation gegangen. Über die Motive der betroffenen Personen zu schreiben ist natürlich sinnfrei, ich kenne sie nicht und es wäre reine Spekulation. Allerdings passt die Intransparenz zur klassischen Art der Unternehmensführung und insofern ist das Verhalten einiger TeilnehmerInnen absolut konsistent zur tatsächlichen Meinung – und gleichzeitig bedauerlich, dass es nicht gelungen ist, mit allen TeilnehmerInnen in einen vorurteilsfreien Dialog zu kommen.

Herzliche Grüße
Andreas Zeuch

Bildnachweis

  • Beitragsbild: © Gewächshaus Düsseldorf
  • Flipchart: © Dr. Andreas Zeuch

 

Comments (7)

Hallo Herr Zeuch,
ein interessanter Bericht – vielen Dank!
Die Tatsache der “verdeckten” Kritik ist ja vielleicht bei diesem Forum noch nachvollziehbar – vielen fällt es schwer sich gegen den (vermuteten) Mainstream zu “outen”.
Und das Phänomen zeigt – wieder einmal – dass sich die Hoffnung auf eine gemeinsame Werteebene nicht so einfach erfüllt – nicht einmal bei einer Veranstaltung zur “Demokratie”.
Mit dem Thema “Demokratie im Unternehmen” bewegen Sie sich offensichtlich am Rande des “Akzeptierten” und ich vermute, dass selbst eine öffentlich geäußerte Zustimmung von Unternehmern / Führungskräften dann im eigenen Betrieb schon wieder ganz anders klingt. Ich finde das Thema absolut zentral für die kommenden Jahrzehnte – daher schätze ich ihr Engagement dafür!
Mit freundlichen Grüßen,
Markus Fischer

Lieber Herr Fischer,
danke für Ihren Kommentar und das positive Feedback zu meiner Arbeit.
Natürlich kann es sein, dass sich Menschen fürchten, gegen eine Gruppenmeinung zu äußern. Das ist normal. Allerdings doch sehr befremdlich, wenn es sich dabei zumindest in Teilen um Führungskräfte handelt, die mit großem Verve von sich sagen, dass sie bestimmen würden und das ja obendrein alle gut fänden. Da würde ich von einer FK doch etwas mehr Standhaftigkeit erwarten. Ansonsten wird da irgendwas unglaubhaft und widersprüchlich.
Herzliche Grüße
Andreas Zeuch

Lieber Herr Zeuch,
ja, diese Erwartung an Führungskräfte habe ich auch – und finde ich auch berechtig und wichtig, da darin ja die Qualität von Führung liegt. Diese Standhaftigkeit haben Führungskräfte aber eben oft nur durch die “geliehene Autorität” in ihrer Organisation und nicht, weil sie diese als Persönlichkeit stimmig entwickelt haben. Das erlebe ich in meiner Arbeit ständig – und ist ja auch meine Kritik an vielen dieser Organisationsmodelle, die die Notwendigkeit der Persönlichkeitsentwicklung übersehen oder gar verneinen.
Mit freundlichen Grüßen,
Markus Fischer

Hallo Andreas,
das hat mich nun doch auch sehr erstaunt, dass diese Führer nicht zu ihrer Überzeugung stehen konnten. Ob sie am Ende der Diskussion doch eher Zweifel hatten, dass ihre alten Denkansätze zu hinterfragen sind. Deshalb die Stille?
Was mich wunderte ist Dein Spruch:
“Ich habe weder schriftlich noch mündlich eine führungslose Horde wild durcheinander wuselnder Anarchisten vorgeschlagen.”
Aber am Ende dann doch wieder nicht. Wie häufig wird uns von den Journalisten das falsche Bild von Anarchisten vermittelt. Es wird Chaos und Gewalt gezeigt und dann das Wort Anarchist verwendet.
Dabei sind Anarchisten eben genau diese Unternehmensdemokraten. Horst Stowasser hat lange geforscht und in seinem Buch darüber berichtet, was Anarchie ausmacht. In meinen Augen die höchste Form der Organisation, da hier höchste verantwortliche Menschen wirken.
Horst Stowasser berichtet von einem Gespräch mit einer alten Dame in Spanien in einem Cafe. Diese Dame stammte aus eher gehobenen Kreise. Sie erzählte ihm, dass die U-Bahn Barcelonas nur in den Zeiten der Anarchie pünktlich gewesen sei. Denn hier kümmerten sich nun alle, dass schnell optimiert wurde.
Leider sei diese Phase sowohl durch die Förderung der russischen Kommunisten sowie Hitlers Nationalsozialisten beendet worden. Danach kam erst Chaos und Gewalt.
Leider gab es wohl 10 Jahre um den Wechsel vom 19. auf das 20. Jahrhundert, in denen einige Anarchisten mit Gewalt ihre Freiheit herbei bomben wollten. Das war aber nur eine kurze Phase, da wahre Anarchisten absolut friedliebend sind.
Aber ob sich diese jahrelang politisch gewollte, auf dem Kopf stehende Bild der Anarchie jemals wieder einrenken wird?
Hier habe ich einen interessanten Artikel dazu gebracht, dass mit hoher Wahrscheinlich jeder von uns ein Anarchist ist:
https://faszinationmensch.com/2013/09/20/mit-hoher-wahrscheinlichkeit-bist-auch-du-ein-anarchist/
Viele Grüße
Martin

Danke lieber Martin,
danke für diesen anregenden Kommentar – ich bin völlig bei Dir. Die Antwort zu dem von Dir hinterfragten Satz ist denkbar einfach: Ich hatte zuerst meinen dazugehörigen Satz aus meinem Buch im Kopf und wollte den nicht einfach wiederholen. Deshalb kam ich zu dem hier formulierten Satz. Und habe damit etwas geschrieben, was ich so selbst nicht mehr richtig finde.
CAVE: Aber ich lass den Satz jetzt oben stehen, damit Dein ansonsten wertvoller Kommentar seinen Sinn nicht verliert und die Anregung zum Thema Anarchie, bzw. einer korrekten Nutzung erhalten bleibt.
Herzliche Grüße
Andreas

Hallo zusammen,
im Grunde verwundert es mich gar nicht, dass gerade die Menschen, die auf kontextlose Hierarchien pochen, eben nicht mutig sind. Denn diese Menschen verschanzen sich allzu gerne hinter ihren Rollen und den damit einhergehenden im System ausgelobten Statussymbolen. Sie müssen sich nicht mehr jeden Tag als Mensch mit ihren Skills, Fähigkeiten und Talenten neu beweisen. Sie haben ja im System ihrer Organisation das “in Stein gemeißelte Organigramm”, auf welches sie sich zurück ziehen können. Nur gab es dieses bei der Veranstaltung eben nicht. Also waren sie lieber ruhig.
@Martin: Deine Gedankengänge zur Anarchie finde ich inspirierend. Ich werde weiter darauf `rumdenken. Danke dafür.
BG, Conny

Hi Conny,
klar, es ist auch eher eine Verwunderung ob des himmelschreienden Widerspruchs. Natürlich reißen da Leute die Klappe auf, die die Weisungsbefugnis und das Disziplinarrecht als letzten Rückzugsraum brauchen. Aber die Selbstüberheblichkeit und Selbstüberschätzung ist doch immer wieder aufs Neue ein echter Hingucker 🙂
HGA

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