Fallbeispiel Ostseesparkasse

OSPA-Zentrum_Foto-OSPA

Schon vor längerer Zeit wurde mir vom Ottonen Conny Dethloff gesteckt, dass die Ostseesparkasse ein interessanter Fall für unsere priomy.MAP wäre. Dann verging etwas Zeit und ich hatte diese Hinweis nicht mehr direkt verfolgt. Nur um dann vor Kurzem auf ein Gespräch zwischen Gabriel Rath von der Ostseesparkasse und Gunnar Sohn aufmerksam gemacht zu werden. Also ist es jetzt dran, mehr über die Ostseesparkasse zu erfahren.

Andreas: Gabriel, vielen Dank, dass Du Dir die Zeit für dieses Gespräch genommen hast. Bevor wir einsteigen, würde ich gerne noch für unsere Leser*innen erfahren, wer Du eigentlich bist. Sicherlich kennt Dich der eine oder die Andere, aber bestimmt nicht alle. Also: Wer bist Du, woher kommst Du, wohin gehst Du?

Gabriel: Ja Moin, ich bin ein Rostocker Jung’, wie man bei uns zu sagen pflegt, bin 80er Jahrgang, habe also in meiner Kindheit die DDR noch mitbekommen. Über meine Liebe zur Musik, ich hatte mit einem gewissen Marteria in den 90er Jahren angefangen zu rappen, kam ich zum Marketing, denn ich wollte ja schließlich, dass die Leute von mir Notiz nahmen. In der Werbehauptstadt Hamburg lernte ich in den späten 2000ern das Social Media Marketing von der Pieke auf. Bei Scholz & Friends entdeckte ich mein Interesse an internen Social Media Tools wie der damaligen G Suite. Als unsere erste Tochter kam, zogen wir zurück in die Heimat nach Rostock, wo ich das Marketing eines Software Startups leitete. Seit Frühjahr 2016 bin ich als Marketing- und Kommunikationsmanager bei der OSPA tätig, obwohl ich nie geplant hatte, zu einer Bank zu gehen.

Andreas: Da platzt mir heraus: Wie geil ist das denn? Erinnert mich an meine Zeit vor meinem Musiktherapie Studium, als ich Stunden über Stunden in unserem Probekeller verbrachte und versuchte, mein Drum-Set unter Kontrolle zu bringen. Sehr schön. Ich könnte mir vorstellen, dass diese Biografie auch eine große Rolle für Deine jetzige Aufgabe und Dein Verständnis davon mit sich bringt. Vielleicht kommen wir später darauf zurück.

Jetzt erst mal zu Eurem Unternehmen: Kannst Du uns mal einen ersten Rundum-Überblick über Euer Unternehmen geben und inwiefern ihr selbstorganisiert unterwegs seid?

Einführung eines Enterprise Social Network

Gabriel Rath, Foto Sven Bayer
Gabriel Rath, Foto Sven Bayer

Gabriel: Wir sind einerseits eine klassische Sparkasse mit knapp 700 Mitarbeitern und einer konservativen Filialstruktur. Und genau da liegt die Herausforderung für die Kommunikation in der digitalen Transformation.

Wie können wir gemeinsam Veränderung leben und von einer hierarchischen Pyramide, bei der wenige viel wissen, zu einem Netzwerk kommen, bei dem gute Ideen aus jeder Ecke kommen können?

Vor fast 5 Jahren führten wir mit IBM Connections unser Social Intranet ein und arbeiten seitdem mit unseren Connectoren an dem Thema. Die Connectoren sind quasi unsere anonymen Digitalen, wie ich manchmal augenzwinkernd sage. Tatsächlich sind sie eine kleine Community von Mitarbeitern aus allen Teilen des Unternehmens. Da ist vom Azubi bis zum Vorstandsstab alles dabei. Wir treffen uns regelmäßig und tauschen uns aus über Erfolge und Hürden. Wie wird OSPA Connect genutzt? Was sind neue User Cases? Wer traut sich nicht und warum? Leben die Führungskräfte es vor oder nicht? All diese Fragen diskutieren wir und entwickeln dabei selbstorganisiert Maßnahmen, um die digitale Reife der Mitarbeiter zu erhöhen. So haben wir zum Beispiel eine Mitarbeiter-App mit integrierten Gamification-Mechanismus, unsere Quiz-App herausgebracht. Oder wir haben eine digitalen Führerschein konzipiert und alle 700 Mitarbeiter in 6 Monaten mit einem E Learning-Programm geschult. Neuerdings nutzen wir auch den Einsatz von Robotern. Unser humanoider Robo Rudi ist mittlerweile ein digitales Maskottchen für die Mitarbeiter. Selbstorganisiert bedeutet ganz praktisch, dass wir die Themen in unserer Connect-Community gemeinsam planen und sie später gemeinsam bei unseren Meetups entscheiden.  

Andreas: Da würde ich gerne erst mal auf Los zurück gehen. Um was genau geht es denn bei Euch mit dieser Initiative? Klingt in meinen Ohren erst mal wie ein interessanter Versuch, um die Innovationskraft zu erhöhen. Und auf dem Weg dorthin nutzt ihr Mechanismen der Selbstorganisation, um eine wie auch immer geartete, partizipative Innovationskultur zu entwickeln und zu etablieren. Habe ich das halbwegs richtig verstanden? 

Gabriel: Ja, wobei die Connectoren tatsächlich das Thema Social Intranet im Fokus haben, aber wir kommen von dort aus natürlich regelmäßig auf weitere digitale Themen und schauen gezielt, was wir ausprobieren können. Für das Thema Innovation arbeiten wir außerdem mit einem lokalen Innovationsagentur zusammen und wollen zukünftig eine Plattform zur Entwicklung neuer Ideen im Unternehmen einführen.

Selbstorganisation in der Ostseesparkasse

Andreas: Verstehe. Wie sieht es denn darüber hinaus bei Euch mit dem Thema Selbstorganisation aus? Sprich: Inwiefern sind die Mitarbeiter und Führungskräfte der verschiedenen hierarchischen Ebenen bei Euch in die Entscheidungsprozesse eingebunden? Wir von den Unternehmensdemokraten unterscheiden drei Bereiche der Partizipationsreichweite: Erstens operativ, also die tägliche, eigene Arbeit. Zweitens, taktische Entscheidungen, zum Beispiel Peer/Team Recruiting, Projektauswahl, Projektbesetzungen etc. Und drittens der strategische Bereich, also Filialeröffnungen und -schließungen, Geschäftsmodellinnovationen und natürlich die Strategieentwicklung im Allgemeinen. 

Gabriel: Historisch gibt es eigentlich keine Selbstorganisation in der Sparkasse, im Gegenteil.

In den letzten Jahren weht allerdings ein Wind der Veränderung beim roten Riesen und man erkennt, dass dynamische Weiterentwicklung nur möglich sein wird, wenn es nicht nur top-down angeordnet wird, sondern wenn Mitarbeiter Eigeninitiative übernehmen und auch crossfunktional zusammenarbeiten. Bei uns gilt: Jeder ist ein Experte auf seinem jeweiligen Gebiet, also hat er oder sie auch eine Verantwortung diesen Bereich voranzutreiben mit eigenen Ideen.

Ostseesparkasse Filiale RostockIch weiß, dass in der Sparkasse Buxtehude bereits Filialen selbstorganisiert funktionieren – in der täglichen Arbeit am Kunden. Diese Idee, ohne traditionellen Filialleiter auszukommen ist allerdings sehr neu in der Sparkassenwelt. Bei uns in Rostock gibt es Tendenzen der Demokratisierung eher im Zentralbereich.

Andreas: Ja klar, das kenne ich aus der Sparkassenwelt, wir hatten ja schon das Vergnügen, in zwei Projekten mit einer relativ großen Sparkasse zusammenzuarbeiten. Sparkassen sind nicht gerade ein Paradebeispiel für progressive Formen der Unternehmensgestaltung und -steuerung, was ich aber erstens wenig überraschend finde weil es zweitens ziemlich nachvollziehbar ist. 
Juristisch seid ihr bei der OstseeSparkasse eine Anstalt des öffentlichen Rechts. Hängt Eure aktuelle Situation bezüglich des Grads Eurer Selbstorganisation auch mit diesem gesellschaftsrechtlichen Rahmen zusammen? Oder ist das eher Eurer Unternehmenskultur und -historie geschuldet? Und was passiert bei Euch im Zentralbereich mit den von Dir erwähnten Tendenzen der Demokratisierung? Wobei wir keineswegs mit diesem Begriff arbeiten müssen. Vielleicht passen ja andere, artverwandte Begriffe besser: Agilität, Selbstorganisation, Partizipation oder die fast schon antiquiert anmutende Mitbestimmung.

Gabriel: Ich glaube, dass unsere Kultur einfach Eigeninitiative und Mitbestimmung fördert. Führungskräfte erwarten sogar, dass ihre Leute mit eigenen Ideen und Plänen kommen, und Mitarbeiter wollen aus meiner Sicht vielfach gar nicht mehr darauf warten, dass “von oben ein neuer Befehl erlassen wird”. Aber ehrlicherweise merken auch viele Kollegen, dass Mitbestimmung aufwendig sein kann. Wenn man also ein Enterprise Social Network hat, wie wir mit OSPA Connect, dann hat zwar jeder Mitarbeiter die Möglichkeit, eine Community zu eröffnen und selbstständig als Community Manager das entsprechende Thema zu pushen, aber das kostet eben auch Zeit, denn man muss Mitstreiter suchen, diesen einbinden, relevanten Content erstellen, also bloggen und Wikis anlegen. Wer bisher nur seine E-Mail-Inbox abgearbeitet hat, also reagiert hat, für den ist diese neue proaktive Arbeitsweise nicht nur neu, sondern auch herausfordernd. Wir haben aber schon vor 5 Jahren, als wir unser Social Intranet eingeführt haben, gesagt, dass wir keine digitalen Silos züchten wollen. In vielen mir bekannten Unternehmen, muss man als Mitarbeiter ja eine Community beantragen. Das fanden wir nicht gut.

Bei uns kann jeder eine Idee oder eine Initiative starten. Und unsere Connectoren helfen dann eben bei der Umsetzung.

Andreas: Das wiederum überrascht mich – dass Eure Kultur Eigeninitiative und Mitbestimmung fördert und dass Eure Führungskräfte das eigene Engagement der Mitarbeiter*innen sogar erwarten, ich hatte das bislang wie angedeutet, anders kennengelernt. Toll – wie habt Ihr das geschafft? Ist das eine Folge von OSPA Connect oder war das schon vorher so? In dem Zusammenhang fällt mir noch eine Frage dazu ein: Was ist denn der Altersdurchschnitt bei Euch, so ungefähr? 

Erfolgsgeschichten und Fehlerkultur

Gabriel Rath, @Caro Sternhagen

Gabriel: Das ist ja immer die alte Henne-Ei-Diskussion. Braucht man erst eine Kultur oder erst ein Tool? Ich glaube, man braucht erstmal die Bereitschaft der Leute, sich mit neuen Themen zu beschäftigen. Tatsächlich ist Veränderungsbereitschaft ein zentraler Wert bei der OSPA, der auf jeder Mitarbeiterveranstaltung thematisiert wird. Man könnte es auch Corporate Learning nennen. Aus diesem Grund haben wir auch einen digitalen Führerschein für alle Mitarbeiter innerhalb von 6 Monaten im letzten Jahr durchgeführt. Im Durchschnitt sind die Kollegen um die 40 Jahre alt. Offenheit ist allerdings bekanntlich keine Frage des Alters. Ich führe da immer gern meine Mutter an, die sie Jahren bei Instagram aktiv ist, weil sie den klaren Mehrwert erkannt hat, dass sie dort ihren Kindern folgen kann. Sie musste es aber erst ausprobieren. Das ist also der Knackpunkt auch im Unternehmen. Wir laden immer wieder ein und erklären OSPA Connect sehr intensiv. Und wir erzählen Erfolgsgeschichten der Nutzung. In einem Forum können Mitarbeiter dann die besten Erfolgsgeschichten hochvoten und der “Gewinner” bekommt einmal im Monat den “Hammer des Monats”, der vom Vorstand persönlich überreicht wird. Das kann ein Teamfrühstück sein, oder eine andere Aufmerksamkeit. Davon machen wir dann wieder ein Foto und stellen es in den Vorstandsblog um zu sagen: Es lohnt sich, mitzumachen.

Diskutiere die OSPA und weitere Fallbeispiele bei der #NKNA20 – bist Du dabei?

Andreas: Da bin ich voll bei Dir – Offenheit und Neugier als zentrale Merkmale der Veränderungsbereitschaft sind nicht abhängig vom Alter. Allerdings dürfte unstrittig sein, dass jüngere Generationen mit neuen Technologien aufwachsen und ergo einen ganz anderen – selbstverständlicheren – Umgang damit pflegen. Das beobachte ich fast täglich bei meinen eigenen Kindern. Pinch to Zoom ist denen sozusagen in die Wiege gelegt. Ich musste das als Erwachsener aufwändiger lernen und manche Dinge vor allem erst mal wieder entlernen und erfolgreich vergessen. Mein Vorteil dabei: Ich habe ein lausiges Gedächtnis. Andererseits habe ich nicht selten das Gefühl, mit meinen 51 Jahren offener, neugieriger und veränderungsfreudiger zu sein, als manche 20 Jährigen. Das ist also vielmehr eine Frage von sozialen Umfeldern, wie zum Beispiel die Sinus Milieus, und der je individuellen Erziehung. Und: ich streite schon lange nicht mehr darüber, ob das Sein das Bewusstsein prägt oder umgekehrt. Das ist eine typische westliche Fragestellung im Sinne eines Entweder-Oder. Beides ist WIRK-lichkeit, es ist ein Sowohl-Als-Auch. 

Das ihr Erfolge feiert ist schön und sicherlich wirksam. Allerdings habe ich die Erfahrung gemacht, dass es auch wichtig ist, offen über das zu kommunizieren, was nicht so gut funktioniert hat. In diesem Sinne meine Frage: Habt ihr auch einen Fehler des Monats oder Jahres, den ihr auslobt, so wie das zB der Schindlerhof oder der Mischkonzern Tata machen? Und wenn nicht: Welche Rolle spielt bei Euch der Umgang mit Misserfolgen, Fehlern, Irrtümern und so weiter?

Gabriel: Die Berliner Sparkasse hat ja sogar schon mit FuckUp Nights experimentiert. Das würde ich auch gern in Rostock machen. Tatsächlich sind wir da aber noch “auf dem Weg”. Wir schauen aber, dass wir auch Learnings aus Projekten, die nicht geklappt haben, besprechen. Dazu setzen wir seit einer Weile Feedbackkarten ein und wir nutzen die Methode “Lunch Roulette”. In unserem ESN werden bisher tatsächlich eher nüchtern Projektfortschritte oder positive Ergebnisse geteilt. Ich würde mir da auch mehr Offenheit wünschen, gerade wenn Dinge nicht geklappt haben. Hier sind natürlich auch die Führungskräfte gefragt, mutig vorzuleben. Desweiteren wird bei uns zwischen Fehlerkultur und Fehlverhalten unterschieden. Wer nach bestem Wissen handelt und neue Wege geht, dem wird nichts vorgeworfen. Wer aber absichtlich gegen eine Erkenntnis oder ein Agreement handelt, der muss ich natürlich rechtfertigen. Ich fände es grundsätzlich toll, wenn auch die Sparkassen-Finanzgruppe, zu der ja fast 400 Sparkassen deutschlandweit gehören, mal zugeben würde, wenn etwas nicht geklappt hat, wie zum Beispiel die Einführung von pay direkt, die viel zu spät kam, so dass man mittlerweile gegen paypal kaum noch Chancen hat.

Andreas: Offene Worte, vielen Dank! Zum Abschluss noch eine letzte Frage: Worin liegen Deiner Meinung nach die größten Herausforderungen der nächsten Jahre für Euch und was müsstet Ihr unternehmen, um sie zu meistern?

Gabriel: Die große Challenge liegt darin, den GAFAs die Stirn zu bieten. Google, Apple, Facebook und Amazon drängen in den Banking-Markt, wir sehen das an Google Play, der Amazon Kreditkarte und nicht zuletzt Libra, der neuen Kryptowährung von Facebook. Sparkassen haben allerdings einen USP. Sie sind regional verankert und genießen Vertrauen, weil sie mit den Daten der Kunden verantwortungsvoll umgehen. Daher muss aus meiner Sicht der Auf- und Ausbau einer der Sparkasse als regionaler Plattform gelingen. Wie das aussehen kann habe ich erst kürzlich dem Fintech-Podcast PaymentandBanking erklärt. Allerdings muss man sich dazu von innen heraus transformieren und auch die föderale Organisationsform überdenken, denn man muss in den Entscheidungen viel schneller werden. 

Andreas: Vielen Dank Gabriel für das Gespräch und Deine Einblicke in die laufende Veränderung der Ostseesparkasse.

 

Herzliche Grüße
Andreas

 

Bildnachweis

  • Beitragsbild: ©Ostseesparkasse, mit freundlicher Genehmigung
  • Gabriel Rath #1: ©Sven Bayer, mit freundlicher Genehmigung
  • Filiale Rostock: ©Ostseesparkasse, mit freundlicher Genehmigung
  • Gabriel Rath #2: ©Caro Sternhagen, mit freundlicher Genehmigung

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