Im Dialog: Transformation der DB Systel. Teil 2

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Im ersten Teil diskutierten Andy und ich bislang über die Frage, wie es möglich ist, Mitarbeitende dazu einzuladen, mehr selbst- und mitbestimmte Arbeit zu leben, wie Andy seine teils widersprüchlichen Anforderungen als feste Führungskraft einerseits und agile Coach andererseits unter einen Hut bringt und last not least die Herausforderungen hybrider Organisationen. An diesem letzten Punkt knüpfen wir in diesem Teil an.

Andreas: Es gibt ja bei Euch bei mehreren Tausend Mitarbeitenden sicherlich noch etliche andere Teams, in denen die im ersten Teil diskutierte Arbeit in einer hybriden Organisation vielleicht schon besser funktioniert, oder? Tauscht Ihr Euch dazu regelmäßig als Führungskräfte und agile Berater aus? Wenn ja, wie funktioniert das, wenn nein, warum nicht?

Andy: Ich glaube, dieser Hybrid kann in einer sich verändernden Organisation vorkommen und in einer Übergangsphase auch eine Existenzberechtigung haben. Vielleicht ist das der Weg, wie man nach und nach Veränderung in einer Organisation ermöglichen kann.

Eventueller Vorteil: man kann in einer zeitlich begrenzte Koexistenz beider Systeme, diese situativ miteinander vergleichen und die Mehrwerte und Schwächen beider System in der Organisation erörtern.

Das wäre übrigens auch ein Ansatz, den ich mir bei der DB Systel vorstellen kann. Langfristig sehe ich das allerdings wie du, auf Dauer kann ich mir eine “hybride Organisationsform” nicht als Erfolgsmodell vorstellen.

Mit deiner zentralen Bedingung kann ich mich nur teilweise anfreunden. Das Topmanagement hat Zwänge und Blockaden, welche sie daran hindern, volle Gestaltungsmacht auszuüben. Bei der Bahn beispielsweise werden mir häufig staatliche Regularien und die Rechtsform der Unternehmen als unüberwindbare Blockaden für diverse Themen genannt. Wenn das stimmt, glaube ich, braucht es für einige Veränderungsimpulse mehr als nur die Gestaltungsmacht dieser Topführungskräfte. Was ich toll finde und unbedingt aufgreifen möchte, ist dein Gedanke, dass Führungskräfte “sich selbst als Lernende auf einem Weg voller Unwägbarkeiten begreifen”. Das würde ich mir von allen Wünschen, die Entscheidungskompetenzen besitzen, um den Rahmen in einer Organisation zu verändern. Zum einen gibt es aber genügend Führungskräfte, die eben keine hierarchische Macht besitzen – siehe mich – und zum anderen macht es ja nüchtern betrachtet gar keinen Sinn, sich selbst zu entmachten und der gefühlten Kontrolle zu berauben. Hinter jedem Veränderungsimpuls steckt eine Ungewissheit. Verstehst du was ich damit sagen möchte? Wenn ich in meinem Bekanntenkreis erzähle, welche Veränderungen ich anstoßen möchte, reagieren Leute teilweise mit Unverständnis und sogar Verärgerung. Ich kratze damit an dem Sicherheitsbedürfnis eines Menschen. Nicht erst seit Maslow wissen wir, Menschen wünschen sich Struktur und Vorhersagbarkeit. Eine unvorhersagbaren Welt und Inkonsistenz verunsichern sie zutiefst. Es wäre toll, wenn man diese Verunsicherung zumindest im Organisationskontext auflösen könnte. Hast du dafür Ideen oder Erfahrungen? 

Andreas Ulrich, Vortrag zur Transformation
Andreas Ulrich, immer noch bei der Arbeit 😉

Aber lass uns wieder zu deinen Fragen zurückkommen. Es gibt einen regen Austausch bei der DB Systel. In Form von Open Spaces, Communities und auch über diverse Kanäle, wie Webcasts, Chattools, u.v.m. Ehrlich gesagt, es ist so viel. Manchmal frage ich mich, worauf all diese Austauschformate einzahlen? Da ich mir die Frage selbst oft nicht beantworten kann, suche ich mir Ansprechpartner im Unternehmen, um mich auszutauschen. Ich netzwerke also. Das ist manchmal sehr anstrengend, da man bei über 4300 Kollegen nicht immer auf Anhieb den richtigen Ansprechpartner findet, aber am Ende zahlt es sich aus. Ich kann zielgerichtet Themen adressieren und bekomme dann die Antworten, die ich für mich benötige.

Aktuelle hospitiere ich bei Teams, bei denen Dinge bereits anders funktionieren. Meist lade ich mich für einen Tag ein und versuche am Alltag teilzunehmen. Das gibt mir immer eine gute Perspektive, was “anders” läuft. Die Teams profitieren von meiner Perspektive und meinem Feedback. Wir haben also alle etwas davon.

Ich kann das nur wärmstens empfehlen. Ich habe das auch bei meinem alten Arbeitgeber gemacht. Vor allem mit Hospitationen in anderen Unternehmen habe ich gute Erfahrungen. Da ist die Hemmschwelle, ehrliche Kritik zu äußern oder zumindest kritische Fragen zu stellen, geringer. Was glaubst du, woher kommt dieser Respekt auch unter Führungskräften, sich offen und ehrlich zu begegnen?

Andreas: Zur hybriden Organisation möchte ich noch etwas klären: Ich würde da sogar noch einen Schritt weiter gehen als Du: Die hybride Organisation kann in einer Transformation nicht nur vorkommen – sie lässt sich in dieser Übergangsphase gar nicht vermeiden. Schließlich ist das alte Modell der Ausgangspunkt und der lässt sich nicht einfach löschen oder von einem neuen “Betriebssystem” überspielen. Genau deshalb hatte ich vor einiger Zeit diese Metapher, die insbesondere in Holacracy Kreisen mantrahaft dahergebetet wird, kritisiert (“Holacracy. Vom Scheitern eines Betriebssystems.”)

Ich war jüngst in zwei kleinen Firmen und durfte dort einmal mehr im Rahmen des von mir durchgeführten priomy CultureChecks erleben, wie sehr die alte Logik, das alte Narrativ, die alten Automatismen und Gewohnheiten selbst dann noch greifen, wenn die meisten Mitarbeiter*innen inklusive der Geschäftsführung wirklich wirklich anders arbeiten wollen. Aber Kotter fordert das ja als Ziel. Und das überzeugt mich nicht. Denn überall, wo ich war, führt diese Spannung zu Stress, Frustration, Ärger und dergleichen mehr. Allerdings sollten wir auch klar haben: Aufgrund gesellschaftsrechtlicher Vorgaben bezüglich unserer Kapitalgesellschaften lässt sich diese hybride Form nur schwer ganz auflösen, denn es braucht weiterhin die Geschäftsführung oder den Vorstand mit entsprechender Haftbarkeit. Und daran gekoppelt sind bekanntermaßen die hierarchische Position und die Befugnis der Letztentscheidung ohne Partizipation der Mitarbeiter*innen. Es sei denn, dass die Transformation bis in die juristisch kodifzierte Verfassung einer Organisation reicht, wie soziale Stiftungsunternehmen (mein Lieblingsbeispiel aus meinem letzten Buch: Die Autowelt Hoppmann, die zu Hundert Prozent der Stiftung für Demokratie im Alltag gehört und damit im allerbesten Sinne eine Purpose-Organisation ist).

Zum Topmanagement: Der Wille zum Teilen der Gestaltungsmacht hat aufgrund der juristischen Rahmenbedingungen fraglos seine Grenzen. Aber wenn diesbezüglich alles beim Alten bleibt, prophezeie ich allen Ernstes ein Scheitern der Transformation. Konkret: Wenn Strategieentwicklung weiterhin ein ausschließliches Topmanagement-Thema bleibt, dann kann zwar operativ und taktisch partizipiert werden, aber die Partizipationsreichweite ist damit einigermaßen limitiert. Zudem gucken natürlich nach dem 27. Change alle (un)bewusst auf die Geschäftsführung. Und wenn die mal wieder den nötigen Wandel predigt – am besten mit der abgeschmackten, hobbyphilosophischen Weisheit, das einzig Stetige sei der Wandel – und sich selbst über ulkige Dresscode-Eskapaden hinaus nicht fundamental verändert, wird es nicht weit her sein mit der Glaubwürdigkeit.

Bei allen rechtlichen Restriktionen: Es gibt meistens viel mehr Spielraum, als gemeinhin angenommen.

Ansonsten habe ich mich noch missverständlich ausgedrückt. Dieser Aspekt des Topmanagements ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung. Ich stimme Dir voll und ganz zu, da braucht es noch etwas mehr. Ich habe weitere Punkte in meinen 11 Thesen für Unternehmensdemokraten im Aufbruch in meinem letzten Buch “Alle Macht für niemand” beschrieben. Ich hatte ja auch andere Dimensionen erwähnt: Eine konstruktive Fehlerkultur, Geduld, die vielleicht noch schwieriger zu erreichen ist in einer immer agileren Welt und quartalsgetriebenen Aktiengesellschaften, aber auch: Selbstorganisation, also selbstbestimmte Arbeit, ist nicht ausschließliches Mittel zum Zweck der Gewinnmaximierung, sondern hat immer auch eine ethische Seite. Ansonsten wird es automatisch ein Ziel sein, die Selbstorganisation als mehr oder mindrer subtiles Werkzeug zur Selbstausbeutung zu installieren. 

Ich bin irritiert über Deine Formulierung des “Respekts” der Führungskräfte vor einer ehrlichen, offenen Begegnung. Respekt wäre doch gut, oder? Meinst Du nicht eher Angst? Also ich erlebe eine gute Portion Angst, mindestens aber Furcht. Davor, den nächsten Karriereschritt nicht machen zu können oder gar den Arbeitsplatz zu verlieren und all die eingegangenen privaten Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen zu können. Woher das kommt? Da gibt es vermutlich zahlreiche Faktoren: Erfahrungen mit einem restriktiven System, in dem ehrliches Feedback ein Karrierekiller war/ist, mikropolitische Machtspiele in einer formal-fixierten Hierarchie, individuelles Unvermögen, konstruktiv Feedback zu leisten, schlechte Erfahrungen mit Ehrlichkeit und Offenheit in der Arbeit, Glaubenssätze, was “man/frau” darf und was nicht, usw. usf. 

Andy: Vielen Dank. Du hast recht. Respekt ist hier wirklich das falsche Wort. Gemeint ist eine Form von Furcht vor Repressionen bei Offenheit und Mut gegenüber Vorgesetzten. Dennoch glaube ich, dass die Konsequenzen, wenn man seiner hierarchischen Führungskraft offen und ehrlich begegnet, nicht so nachteilig ausfallen, wie man sich das ausmalt. Zum einen, weil viele Chefs damit umgehen können und zum anderen fehlen oft auch die Mittel, um dem Mitarbeiter zu schaden. Bitte nicht missverstehen, es gab und gibt Fälle, die meiner Theorie widersprechen.

Insgesamt glaube ich, sind wir manchmal zu vorsichtig im Umgang mit Vorgesetzten, weil wir uns durch diese Furcht lähmen lassen.

Um meine Annahme zu untermauern, möchte ich hier zwei Beispiele aus meiner Zeit bei der DB Systel anführen. Zum einen habe ich mich im letzten Jahr mit Christa Koenen, Vorsitzende der Geschäftsführung der DB Systel, getroffen, um einige ihrer Aussagen auf einem Town Hall Meeting näher erklären zu lassen und ihr dazu meine Meinung zu sagen. Ich empfand damals einige ihrer Aussagen als missverständlich, eine sogar eher kontraproduktiv für das Vorhaben der Systel, sich zu transformieren. Wie man sieht, bin ich noch immer bei dem Unternehmen und ich habe auch keine Nachteile durch das Gespräch. Im Gegenteil, der Dialog war sehr angenehm und im Anschluss konnte ich einige Dinge besser für mich einordnen. Das zweite Beispiel ist mein Verhältnis zu meiner direkten Vorgesetzten. Wir sind nicht immer einer Meinung und das sagen wir uns auch. Wir beide können offen und ehrlich miteinander sprechen. Ich habe in jedem Moment das Gefühl, dass sie das ebenso sehr schätzt wie ich. Ich versuche diese Form des Umgangs mit einem Vorgesetzten auch mit den Kollegen, denen ich vorgesetzt bin, aufzubauen. Das klappt mit einigen besser als mit anderen, was sicher an den Erfahrungen, die du ja sehr treffend beschrieben hast, liegt.

Ich glaube, dass wir uns aktuell in einer Zeit des Umbruchs befinden. Einer Zeit, in der bei vielen ein Um- und Neudenken stattfindet und dadurch Möglichkeiten entstehen. Diese Möglichkeiten können zu Veränderungen führen, wenn sich Menschen trauen und experimentieren. Es muss ja nicht immer gleich eine  ganze Organisationstransformation sein. Vielleicht startet man vorsichtig. Es gibt diverse Tools, die einen sanften Einstieg im Umgang mit einem Vorgesetzten, eine verändertes Arbeiten oder Feedback ermöglichen. Die Tools sollten natürlich bewusst und mit einem Ziel gewählt werden und sind letztendlich nur Mittel und kein Selbstzweck.

Was ich sagen möchte: man kann heute gerne auf sein “Bauchgefühl” hören und mal etwas wagen.

Lass mich bitte noch auf das hybrid Modell von Kotter zurückkommen. Vielen Dank für deine Klärung. Wir liegen da ziemlich dicht beieinander. Ich möchte hinzufügen, dass die Vorstellung von einer Organisation, die komplett ohne formelle Hierarchie auskommt, heute und wahrscheinlich auch noch in naher Zukunft noch sehr schwer denkbar für die meisten ist. Wir haben uns durch unsere Schulsysteme, Regierungsformen, Rechtssysteme und unser Wirtschaftsverständnis Rahmenbedingungen geschaffen, in dem ein hybrides Modell nach Kotter eher denkbar ist. Verstehst du, was ich damit sagen möchte? Ich nehme an, das Modell von Kotter ist aus heutiger Perspektive gedanklich besser fassbar und wirkt weniger utopisch. Versteh mich nicht falsch, ich bin der festen Überzeugung, dass es anders geht und es gibt ja auch bereits Beispiel dafür. Dennoch glaube ich, wird es uns noch sehr viel Zeit und Arbeit an Rahmenbedingungen kosten, bevor wir uns in andere Organisationsstrukturen denken und darin handeln können. Ich bin übrigens froh, dass es Menschen wie dich und viele andere gibt, die diese vermeintliche Utopie als machbar deklarieren und sich nicht scheuen, die Zeit und die Arbeit zu investieren, um Veränderungen herbeizuführen. Danke dir und all den anderen dafür! Ich profitiere sowohl privat und auch beruflich sehr davon.

Gefühlt wäre das eigentlich eine schöner Schlusspunkt für unser Interview, wobei ich unseren Austausch sehr genieße und ich gerne noch sehr viel mehr mit dir erörtern würde. Ich mach es mir jetzt einfach und überlasse es dir, einen geeigneten Schluss zu finden. Ich hoffe, du nimmst mir das nicht übel? 

Andreas: Oh, und wie ich Dir das übel nehme, Andy! Nein, ich finde auch, dass Du da perfekte Schlussworte gefunden hast. Besser würde es nicht gehen, höchstens anders. Deshalb möchte ich Dir nur noch ganz herzlich Danken für Deine Bereitschaft, Deine Zeit und Energie, dieses Gespräch zu führen. Die Zukunft der Arbeit braucht auch genau solche Menschen wie Dich – diejenigen, die all das Nötige aus den Organisationen von innen heraus vorantreiben. Ich hatte mich ja früh aus dieser Rolle verabschiedet und bin sozusagen meinen Free-Solo weg gegangen. Und habe deshalb wiederum großen Respekt vor Menschen wie Dir, die sich nicht scheuen, jeden Tag die große Transformationen ein kleines Stückchen weiterzuentwickeln. Danke. 

 

Herzliche Grüße
Andreas

 

Bildnachweis

  • Beitragsbild:
  • Andreas Ulrich #1:
  • Andreas Ulrich #2:

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