Unternehmensdemokratie und Sprache, Teil 2

Der erste Teil meines Dialogs mit Conny Dethloff über Unternehmensdemokratie und Sprache hat interessante Reaktionen hervorgerufen: Manch einer beschwerte sich über die mangelnde praktische Bedeutung unseres Dialogs, andere bezeichneten mich, Andreas, als “Intellektuellen am Abgrund zur Nichtigkeit” – vielleicht auch deshalb, weil das alles nicht neu sei (was wieder mal niemand behauptet hat). Höchst interessant und auch irgendwie amüsant, wie eine simple Reflexion über den Gebrauch von Sprache im Kontext des Begriffs Unternehmensdemokratie Emotionen hochkochen lässt. Schließlich liegt Bedeutung genauso im Geiste des Lesers, wie Schönheit in den Augen des Beobachters. Die mantrahaft wiederholten, generalisierenden Aussagen sind dabei ebenso polemisch und falsch, wie die Verallgemeinerung, Demokratie in Firmen gehe nicht. Da hilft dann eben doch ein wenig Nachdenken über Sprachmuster und -gebrauch. Universalquantoren wie “immer”, “dauernd”, “niemals” und so weiter sind – cave: nicht immer – aber oft, wenn nicht meistens sachlich falsch. “Demokratie in Firmen geht nicht” ist eine solche Aussage, die sich durch einen einzigen Fall widerlegen lässt. Ganz so, wie ein einziger schwarzer Schwan die These, alle Schwäne seien weiß, sofort widerlegt. Also an alle, die sich gerne aufregen: Dies hier ist ein rezeptfreier Raum. Wer Checklisten braucht, um für sich Bedeutung zu erzeugen, oder ernsthaft glaubt, ein Text müsse für alle Neuigkeitswert haben, sollte JETZT diese Seite verlassen.

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Andreas bei einer Veranstaltung des Bundesverbands mittelständischer Wirtschaft, 2016

Andreas: Du meintest ja, dass in Umgangssprache die Bedeutung qua Naturgesetz entstehen würde – das sehe ich definitiv nicht so. Dein Beispiel des Wortes “Hund” kann das schon verdeutlichen: Bin ich Hundeliebhaber oder -hasser? Zwar wissen beide Seiten, dass es sich um ein Tier einer bestimmten Gattung handelt, dass gerne mit dem Schwanz wedelt, hechelt und ab und an bellt und vielleicht mal zubeißt. Aber darüber hinaus? Sind Hunde eine gute Sache, egal oder erschreckend? Ist vielleicht gerade mein geliebter Hund gestorben und ich bin noch in einer Trauerphase? All dass und viel mehr wird in einem Gespräch über Hunde zwischen zwei Menschen eine Rolle spielen – und zwar häufig unausgesprochen und unreflektiert. Eben weil wir das Wort “Hund” in seiner Bedeutung für selbstverständlich (Naturgesetz) halten!
Die von Dir aufgezeigten Pole im Verständnis eines Begriffs wie Unternehmensdemokratie halte ich – aus meiner täglichen Praxis heraus – keineswegs für unvereinbar. Ich glaube auch nicht, dass hier die Aristotelische Logik eines Entweder-Oder greift. Vielmehr entsteht eine kreative Spannung, die sehr wohl aufgelöst werden kann. Konkret wird das zum Beispiel dadurch möglich, dass ich die Nachteile aufzeige, die entstehen, wenn JEDE Entscheidung durchs Management getroffen werden muss und gleichzeitig kläre, dass dies eben NICHT heißt, dass ALLE immer ALLES mitentscheiden. Alleine durch Fallbeispiele aus der unternehmerischen Praxis, so wie ich Sie im Diskurs aufführe, wird klar, dass Unternehmensdemokratie auch als Kontinuum verstanden werden kann. Und tatsächlich erlebe ich genau das regelmäßig bei meinen häufigen Diskussionen.
Wenn Du forderst, dass Fachbegriffe mit Umgangssprache erläutert werden soll, kommst du automatisch in die unendliche Signifikantenkette: Ein Begriff wird genutzt, um einen anderen zu erläutern. Dann brauchst Du wiederum einen dritten Begriff um den zweiten zu illustrieren und so weiter und so fort, ad infinitum. Nehmen wir im Falle der Unternehmensdemokratie mal den Begriff der “Entscheidung” – der ist absolut umgangssprachlich und doch verbergen sich auch dahinter wieder vollkommen unterschiedliche Welten. Wird zum Beispiel Intuition als wichtiger – und professioneller – Aspekt von Entscheiden inkludiert oder nicht?
Wie also willst Du dieser unendlichen Verkettung von Begriffen entrinnen, selbst wenn Du scheinbar selbstverständliche Begriffe nutzt, die ja, wie Du meinst, quasi per Naturgesetz ihre Bedeutung erfahren? Und noch etwas: Wo ziehst Du die Grenze zwischen Umgangs- und Fachsprache? Wie steht es um Begriffe / Worte wie “Entscheidung”?

Dethloff #2
Conny in Aktion.

Conny: Lass mich gleich mal auf die Bedeutung von Umgangssprache und Begriffen eingehen und das im Kontext Naturgesetz. Ich habe mich hier wohl noch nicht klar genug ausgedrückt. Ich mache eine Trennung zwischen Bedeutung von Begriffen und dann die anschließende Wertung des Begriffes. Die Bedeutung des Begriffes “Hund” liegt meines Erachtens in unserer Gesellschaft quasi objektiv vor. Sehen wir Beide auf der Straße ein Tier, können wir relativ schnell entscheiden, ob es ein Hund ist oder nicht. Gibt es ein Mensch, der zu einer Katze Hund sagt, ist das sein gutes Recht. Allerdings ist dieser dann wohl nicht ganz so anschlussfähig in unserer Gesellschaft. Das verbinde ich mit der Bedeutung von Begriffen.
Umgangssprachliche Begriffe sind in der Regel im Kontext der Bedeutung objektiv vergemeinschaftet. In diesem Sinne habe ich den Begriff “Naturgesetz” verwendet.
Komme ich nun zur Wertung und beziehe mich dabei auf Deine Beispiele, Hundeliebhaber und -hasser. Hier gebe ich Dir Recht, wenn Du sagst es kommt Subjektivität ins Spiel. Ich kann aber nur dann verständlich für Dich zu Dir sagen “Ich mag Hunde.”, wenn wir uns vorher eineindeutig auf die Bedeutung des Begriffes Hund geeinigt haben, sonst kann es passieren, dass Du mir eine Katze schenkst, im Glauben ich mag diese ja.
Also noch einmal kurz zusammenfassend. Als erstes muss man die Bedeutung von Begriffen klären, um dann anschließend mit Einbezug dieser Begriffe inhaltlich und wertend zu diskutieren. Beim Begriff der Unternehmensdemokratie machen wir in Diskussionen den zweiten Schritt vor dem ersten. Wir werten auf Basis der Bedeutung des Begriffes, ohne sicherzugehen, dass Alle die gleiche Bedeutung in den Begriff “Unternehmensdemokratie” hinein legen.
Komme ich nun auf die Zweiwertigkeit, die unserer Sprache innewohnend ist, zu sprechen. Um logische Aussagen zu treffen, müssen wir in Dichotomien denken. Das ist quasi unser Denkrahmen. Um es mit Herbert Pietschmann zu verdeutlichen. Gegner der Unternehmensdemokratie werfen den Befürwortern vor, dass diese dafür kämpfen, dass zukünftig die Führungskräfte in Unternehmen gar nichts mehr entscheiden sollen. Alles sollte von der Masse entschieden werden. Umgekehrt werfen die Befürworter den Gegnern vor, dass diese ja nur weiterhin dafür einstehen, dass Alles durch Führungskräfte entschieden werden soll. Das sind die von mir aufgezeigten beiden Pole, die eine Versöhnung nicht zulassen. Sie stehen sich unvereinbar gegenüber. Wir denken in Entweder-Oder, auch wenn wir uns das vielleicht nicht eingestehen wollen. Ein sowohl-als-auch ist in unserer Logik nicht abbildbar. Für Details, da ich diese hier nicht ausführen kann, verweise ich gerne auf meinen Beitrag “Unser Denkrahmen hat sich seit dem Mittelalter nicht weiter entwickelt”.
Zum Schluss mag ich noch auf die von Dir angesprochene infinite Kette bei Begriffsverwendungen kommen. Hier stimme ich Dir zu. Dieser kann man nicht wirklich entrinnen, wenn man das Gedankenspiel bis zum Exzess treibt. Deshalb ist Kommunikation ja auch Glückssache, wie es Maria Pruckner in ihrem Buch “Komplexität im Management – InFormation” auf Seite 19 so schön eindrucksvoll formuliert. Der Empfänger bestimmt die Nachricht, nicht der Sender. Allerdings formuliert Paul Watzlawick auch so schön, dass man nicht nicht kommunizieren kann. Also was dann nun. Es scheint paradox zu sein. Aber Lebendigkeit ist nun mal von Widersprüchen durchzogen. Nur Totes ist widerspruchsfrei.
Wir müssen also in Diskussionen sehr empathisch vorgehen, in dem wir immer wieder. fortwährend versuchen, uns in den Anderen hinein zu versetzen. Wir müssen wahrnehmen, also empfangen. Oft nehme ich wahr, dass wir im Rahmen einer Kommunikation ausschließlich senden, also gar nicht mehr darauf achten, wie das Gesprochene bei dem Anderen ankommt. Wir müssen uns auf Begriffe in der Kommunikation beschränken, die scheinbar eineindeutig mit einer gemeinsamen Bedeutung belegt sind. Ich schreibe “scheinbar”, da wir diese Eineindeutigkeit ja nie wirklich bestimmen können. Aber der Begriff “Hund” gibt uns wie oben angedeutet ja berechtigte Hoffnung, dass durch einen sozialen selbstorganisierten Prozess diese Eineindeutigkeit hergestellt werden kann.
Und noch etwas nachgestellt. Ich mag die Trennung zwischen Umgangs- und Fachsprache gar nicht vollziehen, sondern eher der Trennung denken, ob Begriffe scheinbar eineindeutig mit einer Bedeutung belegt sind oder eben nicht.
Andreas: Wir könnten vielleicht allgemeiner unterscheiden in Worte, deren Bedeutung in einer Vergemeinschaftung nicht groß weiterentwickelt werden: Hunde bleiben Hunde. Unternehmensdemokratie oder der Begriff der Entscheidung werden stetig weiterentwickelt. Vielleicht hilft auch die Unterscheidung natürlich / artifiziell. Ein Hund ist ein natürliches Wesen, Unternehmensdemokratie eine menschliche Konstruktion.
Conny: In Diskussionen, denen ich beiwohne, mache ich mir in scheinbar ausweglosen und unversöhnlichen Augenblicken oft die Worte von Gotthard Günther, einem leider vergessenen Deutsch-Amerikanischen Logiker, bewusst.
„Wenn ein Problem wieder und wieder auftaucht und keine Lösung gefunden werden kann, dann sollte man nicht danach fragen, was die Vertreter beider Standpunkte voneinander unterscheidet, sondern was sie gemeinsam haben. Das ist der Punkt, wo die Quelle des Missverständnisses liegen kann.“
Leider haben wir häufig einen anderen Reflex. Wir kämpfen kompromisslos für unsere Meinung, die ja unterschiedlich zu unserem Gegenüber ist, was letztendlich dazu führt, dass wir diese Meinung dann gleichzeitig negieren. Hier schlägt uns unsere Zweiwertige Logik wieder einmal ein Schnippchen und wir merken es gar nicht.
Übrigens war unter anderem dieser Fakt für Günther die Inspiration, die Zweiwertige Logik zur Polykontexturallogik erweitern zu wollen, so dass diese auch auf Lebendigkeit angewendet werden kann. Eine sehr gute und relativ einfach nachvollziehbar Einführung dazu findet man hier.
Nun möchte ich mit dem Gesagten den Rückschluss zurück zur Unternehmensdemokratie und dem dahinter liegenden Begriff ziehen. wie hängt das alles zusammen?
Wir haben über die Nichtauflösbarkeit von infiniten Ketten von Begriffen gesprochen, die wir innerhalb der Kommunikation nutzen. Wir wissen also niemals zu 100%, ob wir die gleiche Bedeutung in genutzte Begriffe setzen wie unser Gegenüber. Wir benötigen also, um uns verständigen zu können, eine Menschenzugewandtheit oder Empathie. Wir müssen einander zuhören wollen. Wir sollten also in Diskussionen mehr auf “Empfangen” als auf “Senden” stellen und nicht alles Gehörte unseres Diskussionspartners in das vorgefertigte Muster des Falschen interpretieren. Dafür ist natürlich auch Vertrauen wichtig, die man seinem Gegenüber in Gesprächen schenken muss. Wäre das nicht der Fall, würde man gar nicht darauf eingestellt sein, seine Meinung auch im Sinne seines Diskussionspartners ändern zu wollen.
Andreas: Das mit der Empathie, dem Zuhören (wollen) und eher empfangen als senden kann ich sofort unterschreiben. Ich würde nur noch folgendes ergänzen: Wenn wir andere wirklich verstehen wollen, sollten wir die Haltung eines Lernenden einnehmen, statt stolzgeschwellt davon auszugehen, schon alles zu wissen. Gelungene partizipative, demokratische Kommunikation braucht mehr Anfängergeist als Expertokratie; das Gehörte eine Weile in der Schwebe halten, ohne es gleich mit zu interpretieren und zu bewerten. Das fällt uns allerdings oft schwer und ist vielleicht ist eine der großen individuellen Herausforderungen auf dem Weg zu mehr Teilhabe und Gemeinschaft.

Herzliche Grüße
Conny und Andreas

Bildnachweis

  • Beitragsbild: Andreas Zeuch
  • Andreas Zeuch: Fachgruppe Zukunft und Wissensmanagement, BVMW e.V.

Comments (4)

Die polykontexturale Intersubjektivität (aka doppelte Kontingenz?) werden wir nie los. Wir können aber versuchen auf “redliche” Art und Weise die Bedeutungen immer wieder gemeinsam neu zu verhandeln – vorausgesetzt es finden sich Dialogpartner, die auch zu Verhandlungen bereit sind 🙂

Das ist ein wichtiger Punkt: Offen sein für GEMEINSAME Bedeutungsgebung. Und dann sollte natürlich noch der Respekt vorhanden sein, zu akzeptieren, dass jeder für sich selbst die Deutungshoheit hat, aber nicht für andere. Niemand definiert einen Begriff für alle. Jeder kann Vorschläge machen, die andere annehmen, ablehnen (entweder-oder) oder weiterentwickeln (sowohl-als-auch) können.
Und jeder sollte vor allem vor der eigenen Tür kehren, sich an die eigene Nase packen. Warum treiben uns bestimmte Begriffe auf die Palme und/oder vernebeln unsere Rationalität? Da fehlt mir bei einigen in der Debatte eine gesunde Selbstreflexion: Welche Werte sind durch einen Begriff und das damit teils nur vermutete oder selbst eindimensional konstruierte Konzept bedroht und müssen dann aggressiv bekämpft werden?

Zu Deiner letzten Frage spontan: Die Angst vor “Unordnung” scheint mir ein Treiber zu sein.

Da würde ich zumindest unterscheiden zwischen GF/VV etc., MA und Beratern. Die Angst vor der Unordnung, dem möglichen Chaos, der angeblich ausbrechenden Anarchie etc. erlebe ich manchmal bei unternehmerischen Entscheidern. Das ist aber sogar eher selten der Fall. Die stellen sich oft andere, sehr berechtigte Fragen.
Interessant finde ich aber eben auch die Aufregung bei Beratern, die teilweise gar nicht so weit weg sind vom Mantel-Konzept (schöner Begriff von Frank Widmayer, er nannte es “umbrella-concept”) der Unternehmensdemokratie. Da verstehe ich noch nicht wirklich, wie es zu der vehementen Ablehnung kommt, die gleichsam religiöse Züge aufweist, indem ansonsten anerkannte Regeln für einen vernünftigen Diskurs ignoriert werden. Ich habe da in dem einen oder anderen Fall bislang den Eindruck, dass es um den eigenen Wunsch nach Anerkennung und Aufmerksamkeit geht. Wie formulierte Reinhard Sprenger es so schön: Unternehmensdemokratie ist ein aufmerksamkeitslenkender Begriff…

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