VW. Vorwärts in die Vergangenheit

Dank Dieselgate tut sich endlich was beim größten europäischen Autobauer, mag mancher glauben. VW will nun groß in die E-Mobility einsteigen. Die andauernden medialen Tiefschläge, automobilen Leberhaken und Antriebs-Uppercuts durch Tesla haben wohl Wirkung gezeigt. In der Süddeutschen Zeitung vom 22.11.2016 findet sich der entsprechende Hinweis: “Europas größter Autohersteller will bei der Elektromobilität zügig aufholen und bis 2025 Weltmarktführer auf diesem Gebiet werden. Bis 2030 will VW auch insgesamt wieder der größte Autohersteller weltweit werden.” Allerdings hat die Sache einen gewaltigen Haken.

Gestern: Wachsen bis zum Weltmarktführer

Um das zu verdeutlichen, hilft ein Blick zurück. Vor einigen Jahren wurde für den Weltkonzern eine überraschende Strategie ausgerufen. VW sollte der Welt größter Autohersteller werden. Mit der eher sachlich anmutenden betriebswirtschaftlichen Vokabel “Weltmarktführer” sollte wohl von dem pubertären Vergleich primärer, männlicher Geschlechtsmerkmale abgelenkt werden, der diesem überaus kreativem Ziel eingeschrieben ist. Wow, wir sind der GRÖßTE! Überwältigend, atemberaubend, belebend. Darüber könnten wir ja noch lachen, wenn dieses Ziel nicht zu radikal krankem Wirtschaften führen würde.

Ferdinand Piech, © Stuart Mentiply
Ferdinand Piech, © Stuart Mentiply

Warum? Darum: “Unter Piëchs bisweilen erbarmungslos anmutender Führung hat sich das Management angewöhnt, nur gute Nachrichten zu verkünden. Jeder, der gegen diesen Grundsatz verstieß, wurde kaltgestellt. Alles ordnete Piëch seinem großen Ziel unter, Toyota vom Thron des Weltmarktführers zu verdrängen.” (manager Magazin, 01.06.2015) Etwas konkreter liest sich das in einem Beitrag der Welt vom 30.06.2016: “Wenn zur Markteinführung eines neuen Modells noch nicht alle Probleme gelöst waren, „dann haben sie eben ein bisschen getrickst“. Der Druck sei jedenfalls groß genug gewesen.” Tja, so einfach ist das. Um den größten zu haben, muss Mann verdammt hart sein.

Die gute Nachricht für alle postpubertären Spitzenmanager und Aufsichtsratchefs: Das hat funktioniert, zumindest für einen kurzen Moment in der vergänglichen Geschichte des Autobaus. Am 28. Juli 2015 meldete die Süddeutsche Zeitung: “VW kann im ersten Halbjahr 2015 mehr Autos als Konkurrent Toyota absetzen.” Es war vollbracht! Der Prinzipal Piëch und sein Agent Winterkorn hatten es geschafft. Allerdings hielt diese betriebswirtschaftliche Erektion nicht allzulange. Bereits am 26.10., nur drei Monate später war in n-tv zu lesen: “Der japanische Autohersteller Toyota hat den vom Skandal manipulierter Abgastests gebeutelten VW-Konzern beim Absatz wieder überholt.”

Morgen: Wachsen bis zum Weltmarktführer

Herbert Diess, © Rudolf Simon
Herbert Diess, © Rudolf Simon

Was sich seitdem unter dem Hashtag “dieselgate abspielte, ist wohlbekannt. Vertuschung, Ablenkungsmanöver, Nebelbomben, halbgare Eingeständnisse, konstatieren angeblicher Missverständnisse und so weiter und so fort. Trotz dieser überaus leicht durchschaubaren Taktik sollte nun angeblich alles anders werden. Am 22.11.2016 zitiert die FAZ den VW-Markenvorstand Herbert Diess zu der fantastisch klingenden brandneuen Strategie “Transform 2025+”:

„Volkswagen wird sich in den kommenden Jahren grundlegend verändern, nur die allerwenigsten Dinge werden so bleiben wie sie sind. Die neue Strategie ist letztlich ein großes Transformationsprogramm.“

Aha. Und diese fundamentale Veränderung klingt dann so:

„Wir wollen den Wandel nutzen und Volkswagen entschlossen an die Spitze der neuen Automobilindustrie führen“,

sagte Diess” (ebnd.) Ja, so klingt es, wenn kein Stein auf dem anderen bleibt und endlich, endlich der Irrsinn einer Reduktion auf Größenwachstum beendet wird. Die Lernkurve der Unternehmensführung als exponentiell zu beschreiben, wäre eine Beleidigung. Sie ist so unfassbar groß, dass ich mittlerweile sogar an die Quadratur des Kreises glaube. Ja wirklich!

Dank dieser radikal anderen Strategie wird natürlich auch der damit verbundene Druck auf die Belegschaft Schnee von gestern sein. Es wird nun nicht mehr dazu kommen, das rumgetrickst wird, um “entschlossen an die Spitze der neuen Automobilindustrie” zu gelangen. Umweltsauereien dank betrügerischer Software waren gestern. Transform 2025+ garantiert nach jahrelangen Irrwegen ein gesundes Wirtschaften, das die MitarbeiterInnen und Interessen aller weiteren Stakeholder konsequent in den Mittelpunkt stellt. Vor allem ist, last not least, die Weltmarktführerschaft ein echter Mehrwert für die Kunden! VW, angeführt vom Aufsichtsrat und dem erfrischend anders denkenden aktuellen Vorstand, wird zum Leuchtturm einer zukunftssicheren Wirtschaft des 21. Jahrhunderts. Und so ein Leuchtturm ist ganz schön groß und hart.

Herzliche Grüße
Andreas

 

Bildnachweis

  • VW Stammwerk:  Andreas Praefcke • CC BY 3.0
  • Ferdinand Piëch, Stuart Mentiply, Wolfsburg, GFDL 1.2
  • Herbert Diess: Rudolf Simon,  CC BY SA 3.0

 

Comments (4)

Lieber Herr Zeuch, Sie treffen den Nagel auf den Kopf. Personalabbau ist vermeintlich immer der einfachste Schritt, doch irgendwie beschleicht einen das Gefühl, dass sich das Grundproblem nicht ändert. Im November 2016 spricht Herr Müller nämlich schon wieder von den höchstmöglichen Absatzzahlen (zum Angriff auf Toyota) und Effizienz und Produktivität, dass bei dieser Ausrichtung der Mitarbeiter als Kostenfaktor reduziert werden soll, verwundert nicht. Beste Grüße, Marlene Buchinger

Liebe Frau Buchinger,
ach herrje, dieses perverse Cost Cutting war mir noch nicht mal bekannt. Ist ja noch schöner. Es ist einfach unglaublich, mit welcher Stumpfsinnigkeit Konzerne geführt werden.
Und der Gag an der Sache: Welcher Kunde hat eigentlich was davon, wenn VW der größte und vielleicht rentabelste Autobauer wäre?
Herzliche Grüße
Andreas Zeuch

Es wäre amüsant, wenn nicht hunderttausende Menschenleben davon beeinflusst wären.
Nicht nur in Wolfsburg und umzu.
Und interessant ist, was in der Zwischenzeit geschah.
Herr Musk musste eingestehen, dass übertriebene Automation Teslas Produktion ausbremst.
Und BMW beendet das Jahr 2017 mit einer zunächst unscheinbaren Meldung:
https://twitter.com/cmdsdude/status/948880413497479168

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