Wo Licht, da Schatten. Umgang mit Partizipation

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Ich bekenne mich zum Grundgedanken der Partizipation. Die Gründe sind banal. Zum einen kann eine soziale Organisation ohne Partizipation schlichtweg nicht funktionieren. Es mag vielleicht zu Zeiten des Pyramidenbaus möglich gewesen sein, Menschen Arbeitsameisen gleich eingesetzt zu haben, doch haben die heutigen Gesellschafts- und Arbeitsentwürfe nichts mehr mit denen zu tun, die zu Zeiten der Pharaonen vorherrschten. Der absolute Herrscher ist im Wesentlichen durch eine, die Rechte des Individuums betonende Demokratie ersetzt worden.

Warum Partizipation

Daraus leitet sich das zweite, auch sehr faktische Argument ab. Menschen heute wollen schlichtweg partizipieren; insbesondere, so wir von Kopfarbeitern in den Industrienationen sprechen. Der Geist der Antike, der Renaissance und der Aufklärung hat seinen prägenden Stempel in die Geschichte Europas gedrückt und wurde dann in weite Teile der Welt exportiert.

Des Weiteren setzt Partizipation ein Feuerwerk an kreativer Energie frei (Frankl, Sinn nach Miteinander; Pink, Mastery & Purpose). Eine kreative Energie, die Kapitalismus, Materialismus und Wohlstand westlicher Ausprägung erst ermöglicht, dann befeuert hat. Eine Vielzahl weiterer Gründe ließe sich zweifelsohne finden, um die Liste zu komplettieren. Jedoch gibt es für mich einen Grund, der all diese rationalen Argumente überlagert.

Ich, schlichtweg ich, will partizipieren. Ich will wissen, was los ist, mitreden, mitentscheiden. Und wenn ich das will, dann wollen das selbstverständlich auch andere Menschen. So meine Annahme, so mein Credo.

Und diese Annahme ist richtig. Und falsch zugleich. Dieses Credo führt zu vielen, großartigen Möglichkeiten, es eröffnet Räume. Es ist aber auch zugleich ein egozentrisches, da ich mein Denken auf Andere übertrage. Und dies kann (unbewusst) zu nötigenden Situationen führen.

Dazu eine sehr praktische Erfahrung der Vergangenheit. Ich musste vor Jahren in einem Projekt bitterböse lernen, dass nicht alle Menschen partizipieren wollen.

Partizipation im Interimsmanagement

Nun bin ich Interimmanager. Ich verdiene mein Geld damit, dass ich Unternehmen, die in Schräglage geraten sind, aus dieser misslichen Situation heraushelfe. Dabei ist es ein Teil meiner Aufgabe, unnotwendigen Ballast abzuwerfen. Affektartig mag man nun an Personalabbau denken, doch dieser ist nicht mein Beritt. Ich will nicht abgebaut werden und somit will ich, so es irgendwie möglich ist, auch ohne Personalabbau auskommen. Und dennoch spreche ich vom Ballastabwurf. Hiermit meine ich sinnlose Routinen, veraltete Gepflogenheiten, alte Zöpfe und Fehlplatzierungen von Menschen.

Warum nicht die zu reorganisierende Einheit so umbauen, daß die Anzahl der Köpfe gleich bleibt? Indem man Menschen bittet, neue Aufgaben zu übernehmen, ihnen veränderte und teilweise erweiterte Aufgabenprofile zuweist? Wie wäre es damit, gleichzeitig überflüssigen Tand wie überteuerte Konferenzen, Marketingausgaben auf das notwendige Maß eindampfen? Sie können sich sicherlich sehr gut vorstellen, wie Menschen positiv reagieren (können), wenn sie merken, dass sie den Weg in die Zukunft mitgestalten können, dass man zwar Kosten – aber eben nicht Personal – einsparen will. All dies schafft Luft, Kreativität und Vertrauen. Eben genau dieses Vertrauen, welches ich im Change brauche, welches ich in den Phasen brauche, wenn ich Menschen durch schwammiges, unsicheres Terrain führen muss.

Widerstand gegenüber Partizipation

Doch – und auch dies muss gesagt werden – gibt es eine erstaunliche Anzahl von Menschen, die nicht wirklich partizipieren wollen. Oder in nur sehr geringem Umfang. Und wir, die wir partizipieren wollen, die wir Partizipation schaffen wollen, müssen dies akzeptieren. Wir können uns zwar fragen, warum dieser Mensch nicht partizipieren will – und wenn wir ehrlich zu uns sind, schwingt dabei nicht selten die mitleidige Konnotation des Insektenforschers mit, während er sein Objekt betrachtet – aber diese Frage bringt uns (bzw. mir als Interimmanagers, der unter starken zeitlichen Restriktionen arbeitet) reichlich wenig.

Wir können uns auch gerne noch die eine weitere, quälende Frage stellen. Was ist diesem Menschen in seinem Leben passiert, was ist schiefgelaufen, auf dass er nicht partizipieren will?

Wir können dies aber genauso gut einfach lassen und uns zwei entscheidenden Fragen stellen:

  • Wer will überhaupt partizipieren?
  • In welchem Maß will er partizipieren bzw. wie muss ich das rechte Maß an Partizipation für ihn ausgestalten?

Ich musste vor Jahren in einem Projekt bitterböse lernen, dass nicht alle Menschen partizipieren wollen, so schrieb ich einige Zeilen zuvor. Die Situation ist einfach zu beschreiben. Medizintechnisches Unternehmer, innovativer Unternehmer. Wir sprechen vom Jahr 2003 und der Unternehmer dachte über den Umbau des Unternehmens in eine Mischung aus Kapitalismus und Kolchose nach. Bis hin zur Partizipation der Mitarbeiter an den Firmenanteilen. Die Persönlichkeit des Unternehmers war eine Mischung aus tief verwurzeltem Liberalismus, scharfem Verstand, basisdemokratischen Wurzeln und einem sehr gesund ausgeprägten virilen Silberrückentum. Ich war begeistert und zusammen mit ihm planten wir eine ganze Reihe von Maßnahmen. Zukunftskonferenzen, Mitarbeiterparlamenten, CEO of the month, etc.

Und dann kamen für mich eine Reihe von Erlebnissen, die mein Weltbild zerstörten. Eine ganze Reihe von Mitarbeitern – akademische, gewerbliche, blue collar, white collar, Forschung, Finance, Sales, Führungskräfte, Nicht-Führungskräfte, etc. –, also der ganze, wunderbare Gemüsegarten, wollten nicht. Sie verweigerten sich schlichtweg. Es war ein Murren und ein Maulen. Und die, die endlich den Duft von Freiheit und Partizipation rochen, die maulten zurück, da sie die erstgenannte Gruppe als Hemmschuhe und Spielverderbern wahrnahmen.

Vier Typen im Umgang mit Partizipation

Letztendlich entschieden wir uns für einen Mittelweg, den wir zusammen mit den Mitarbeitern, genauer gesagt einer Auswahl an Mitarbeitern, entwickelten. 5 dieser Mitarbeiter wurden dabei durch die GL ausgewählt, 5 Mitarbeiter wurden durch die Nicht-GL-Mitarbeiter entsandt. Wir gruppierten im Rahmen des o. g. Mittelwegs die Mitarbeiter in eine 3*3-Matrix. Die x-Achse war das vom Mitarbeiter selbständig erklärte Bedürfnis nach Partizipation. Stufe 1 war „Lass mich in Ruhe“; Stufe 2 war „Ich will mitreden, ggf. mitführen, können“ und Stufe 3 war „Ich will Firmenanteile und mitreden/mitführen können“. Die y-Achse zielte hingegen darauf ab, ob der Mitarbeiter führen wollte und konnte. Beim Aspekt des Könnens behielten wir uns als Manager ein deutliches Mitspracherecht vor.

Nun ergaben sich damit 9 Felder, die wir in Gruppen zu vier clusterten. Diesen vier Clustern wurden wiederum unterschiedliche Maße an Partizipation zugeordnet. Cluster 1, der Traum eines jeden Unternehmens, verhielt sich erwartungskonform. Die Mitarbeiter fühlten sich pudelwohl und entwickelten sich prächtig. Nicht weniger einfach war der Umgang mit den Menschen des Clusters 4. Sie waren da, wo sie sein wollten. Keiner wollte mehr von Ihnen, als sie zu auch zu geben und zu nehmen bereit waren. Bedauerlicherweise waren auch einige Menschen dabei, von denen wir uns eine Übernahme an Mehrverantwortung erhofft hatten. Die Menschen des Cluster 2 und 3 entpuppten sich jedoch als echtes Problem. Die Paradoxie der Gruppe 3 (“Will und kann nicht führen” vs. “Ich will mitreden, ggf. mitführen, können”) habe ich bis heute nicht verstanden. Möglicherweise liegen hier eine latente Wertschätzungsthematik und/oder die Angst “in der Masse unterzugehen” sehr eng miteinander vergesellschaftet vor. Leider konnten wir dieses Spannungsfeld nie ganz verstehen, da einige Mitarbeiter das Unternehmen nachgelagert verließen.

Die eigentliche Bombe lag jedoch im Cluster 2. Die Gruppe derer, die unbedingt führen wollten, aber ganz eindeutig als diejenigen “gebrandmarkt” wurden (so empfanden sie es ganz offensichtlich), denen das Fingerspitzengefühl zur Menschenführung fehlte, die also nie Führungskräfte werden würden, wandte sich komplett ab. Mit einigen von ihnen mussten wir schmerzhafte Personaltrennungsprozesse durchlaufen.

Vier Typen der Partizipation, ©Bodo Antonic

Fazit für das Unternehmen

Der Prozess des Unternehmensumbaus dauerte gute 2 Jahre. Während zwischenzeitlich Umsatz und Ertrag litten, entwickelte sich das Unternehmen nach hinten raus prächtig und dies gegen die Markttendenz. Das Unternehmen war leichter, beweglicher und schneller geworden. Obwohl sich die Unternehmen (gegen kleines Geld) von Unternehmensanteilen getrennt hatte, waren seine verbleibenden Firmenanteile am Ende der Entwicklung mehr wert als zuvor.

Doch ich muss Salz in die Wunde streuen. Partizipation ist nicht einfach gottgegeben. Sie ist sehr harte Knochenarbeit. Diese in ein Unternehmen einzuführen, kann sehr sinnvoll sein, wird aber mit hoher Sicherheit zu sozialen Verwerfungen führen. Sie entfaltet Kraft und Energie, aber auch Mitarbeiterverluste. Manche Mitarbeiter werden mit der gewonnen Freiheit und der sich daraus ergebenden Verantwortung nicht umgehen können und wollen; andere werden Erwartungen entwickeln, die das Unternehmen nicht erfüllen kann. Es verbleibt die (fast schon banale) Erkenntnis, dass die Einführung von partizipativen Strukturen letztendlich Ausdruck eines unternehmerisch-gestalterischen Willens ist, der mit Freud´ und Leid einhergeht und an dessen Ende die Erkenntnis steht, dass man die hinzugewonnene Freiheit auch in teurer Münze bezahlen muss.

Der Wunsch nach Partizipation ist Ausdruck des individuellen Willens nach Einfluss und Macht. Wir sollten diesen Willen Freiräume schaffen, aber auch bisweilen Grenzen setzen. Aber eines sollten wir nie: Unseren Willen als den der anderen annehmen oder ihnen diesen überstülpen. Das ist im besten Falle lieb gemeint und schlampig getan, im schlimmsten Fall übergriffig und nötigend. Das Leben spielt sich in der Mitte ab.

“Love and marriage, love and marriage
They go together like a horse and carriage
This I tell you, brother
You can’t have one without the other”
Frank Sinatra

 

Herzliche Grüße
Bodo Antonic

 

Bildnachweis

  • Beitragsbild
  • Grafik Typologie: Bodo Antonic

Comments (2)

Hallo liebe Unternehmens Demokraten, hallo lieber Bodo Antonic,
vielen Dank für diesen wertvollen Beitrag. Ich stimme dem vollumfänglich zu und habe, wenn auch in anderem Rahmen, ähnliche Erlebnisse. Durch das Lesen des Buches “Du musst nicht von allen gemocht werden: Vom Mut, sich nicht zu verbiegen.” von Ichiro Kishimi, wurde ich auf die Individualpsychologie von Adolf Adler aufmerksam. Besonders interessant, im Zusammenhang mit diesem Beitrag finde ich, die Theorie der Aufgabentrennung. Da sie Menschen, die unter zu starken Minderwertigkeitsgefühlen (was mich selbst oft betrifft), eine große Hilfe sein kann. Ich vermute, das die Menschen der Cluster 2 und 3 eben in dieser Problematik stecken, was Adler im Gegensatz zu Freud als Blockade beschreibt. Man kann diesen Menschen, so glaube ich, mit der Aufgabentrennung helfen. Adler sagt: “Alle Lebewesen sind gleichwertig, jedoch nicht gleich.” Alle sind Individuen, jedoch nie höher oder niedriger Wert. Das, so empfinde ich, passiert, wenn man plötzlich in einem Unternehmen die Hierarchien abflacht und sich Menschen nichtmehr durch ihr “Höhepunkt-Profil” behaupten können. Was meint, dass Menschen anhand ihres Abschlußes oder ihrer Qualifikation (Titel, Studium, Ausbildung) bewertet, bzw. bezahlt werden. Muss ich mich plötzlich wieder täglich mit “echter Arbeit” beweisen, verstärkt sich gerade bei ungeübte Menschen das Minderwertigkeitsgefühl. Die “Macher” des Alltags, Werker, Praktiker oder natürliche Anführer, sind in der Übung. Ihnen fällt es nicht schwer, die durch “Buissnes-Theater” eingeschlafenen, wachen auf und sind geschockt. Dann ersteht eine Schutzreaktion, man zieht sich zurück, um der eigenen Aufgabe aus dem Weg zu gehen. Vielleicht etwas löcherich, aber das macht für mich Sinn.
Nochmals Danke für den Impuls!
Beste Grüße
Stephan Löttgen

Lieber Stephan,
danke für Deinen spannenden Kommentar! Da ist für mich viel dran: Wir sind eben nicht alle gleich, aber alle gleichwertig. Da sehe ich ein großes Missverständnis rund um die Zukunft der Arbeit im Sinne von New Work, Unternehmensdemokratie (alle entscheiden alles – was für ein kolossales MIssverständnis!) und insbesondere dem konzeptuell völlig unscharfen Hypebegriff der “Augenhöhe”.
Wobei die Bezahlung entlang der “Wertigkeit” der Ausbildung ein fataler Irrweg ist, so meine ich – als jemand, der promoviert ist. Denn entscheidend sollte doch vielmehr sein, wer welchen Beitrag bei der Wertschöpfung liefert. Und da wird es heikel. Denn das ist keineswegs leicht herauszufinden.
Und: Aufgabentrennung ist ja nicht per se ein Problem. Natürlich werden auch in einem soziokratischen Unternehmen Aufgaben verteilt. Da macht ja auch nicht jeder alles. Nur muss diese Aufgabenverteilung nicht zwingend bedeuten, Denken und Handeln und Planen und Ausführen zu trennen, wie es Taylor etabliert hat. Und selbst wenn einer etwas ausführt, was der andere ersonnen und geplant hat – wieso sollte das dann weniger wert sein? Denn was wäre, wenn es keinen Ausführenden gäbe?
HGA

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